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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

zu werden, verstand Werres, der vorsichtig näher gekommen war, doch jedes Wort.

„Der Herr Bankier Friedrichs ist heute morgen wie immer um ½10 aus seiner Privatwohnung, die im zweiten Stock liegt, zunächst in das große Kontor gegangen, hat dann hier in diesem Zimmer mit dem Prokuristen Westfal eine längere geschäftliche Besprechung gehabt, die vielleicht eine Viertelstunde dauerte. Wie der Prokurist angibt, hat er seinen Chef etwas nach ¾10 verlassen und ist in sein Arbeitszimmer im ersten Stock hinaufgegangen. Dieses hat er erst wieder gegen elf Uhr verlassen, und er ist auch derjenige, der den Ermordeten hier aufgefunden hat. Kurz vor 10 hat Herr Friedrichs den ersten Kassierer Herrn Meisel durch das Haustelephon angesprochen und ihm Order gegeben, 150 000 Mark, die Baron v. Berg heute von seinem Guthaben abheben wollte, bereit zu halten. Herr Friedrichs verwaltet nämlich seit Jahren das nicht unbeträchtliche Vermögen des besagten Baron v. Berg. Um 10 Uhr – ziemlich mit dem Glockenschlage – ist der Baron dann auch in der Kasse erschienen und hat das Geld abholen wollen. Da der Kassierer aber gerade sehr beschäftigt war, als er die diesbezügliche Order von seinem Chef durch das Telephon erhielt, war er noch immer nicht dazu gekommen, nach der Stahlkammer hinunterzugehen. Er entschuldigte sich bei dem Baron, und dieser ging nun hier in das Privatkontor, um, wie er zu dem Kassierer sagte, Herrn Friedichs einen „Guten Morgen“ zu wünschen. Der Baron hat dann nach wenigen Minuten nach Aussage des Portiers und des Laufburschen das Gebäude wieder verlassen. Kurz vor ¼11 – als der Baron v. Berg bereits fort war – soll Herr Friedrichs den ersten Kassierer nochmals telephonisch aufgefordert haben, die bewußten 150 000 Mark ihm sobald wie möglich in sein Kontor, also hierher zu bringen, da der Baron in einer Stunde wieder bei ihm vorsprechen würde, worauf Herr Meisel, der erste Kassierer, sofort das Geld aus der Stahlkammer heraufgeholt hat, damit direkt hier in das Privatkontor gekommen ist und die Summe vorgezählt und dann in ein großes gelbes Kuvert eingeschlossen hat, das Herr Friedrichs vor sich auf den Schreibtisch legte. Gegen ¾11 ist dann der Baron v. Berg wiedergekommen und hat sich bei Herrn Friedrichs melden lassen, ist nur ganz kurze Zeit hier in diesem Zimmer geblieben und dann wieder fortgegangen. Um 11 Uhr – es muß kurz vor 11 gewesen sein, da wir wenige Minuten nach elf die Meldung bereits auf dem Präsidium hatten – läutete Herr Westfal, der Prokurist, seinen Chef öfters durch das Haustelephon an, um in einer Sache seinen Bescheid einzuholen, und, da Herr Friedrichs sich nicht meldete, hat der Prokurist die Angelegenheit persönlich erledigen wollen. Als ihm auf verschiedentliches Klopfen an der in dieses Zimmer führenden Tür nicht geöffnet wurde, hat Herr Westfal mit seinem Schnepper die Tür selbst aufgeschlossen. Diese Tür hat nämlich nur auf der Innenseite einen Drücker – bitte, wollen der Herr Staatsanwalt sich überzeugen – hier außen befindet sich nur ein Porzellanknopf als Handgriff und darunter hier die Öffnung für den Schnepper, mit dem sich die Tür auch von außen öffnen läßt.“ Die Herren hatten die Tür in Augenschein genommen und traten nun wieder in das Zimmer zurück. Der Kommissar fuhr fort. „Zu dieser Tür besitzen außer Herrn Friedrichs nur zwei Herren noch die passenden Schnepper, der Prokurist und der erste Kassierer. Der Prokurist öffnete also die Tür und sah sofort, da wie jetzt sämtliche Flammen des Kronleuchters brannten, die auf dem Teppich ausgestreckte Gestalt seines Chefs. Zuerst glaubte er nur an einen Ohnmachtsanfall; als er dann aber hinzusprang, um seinem Chef Hilfe zu bringen, erblickte er die deutlichen Blutflecken auf der Weste und merkte sowohl an der Lage des Körpers, als auch daran, daß er nirgends eine Waffe entdecken konnte, daß etwas Außergewöhnliches passiert sein müsse. Er ist dann in das Kontor gelaufen und hat Lärm geschlagen. Als er noch von Herrn Meisel, dem ersten Kassierer, erfuhr, daß auf dem Schreibtisch in einem Kuvert eine Summe von 150 000 Mark liegen müsse und dieses Kuvert sich nirgends vorfand, ist dem Prokuristen erst die ganze Wahrheit klar geworden und er hat sofort nach uns telefonieren lassen und außerdem dafür gesorgt, daß niemand in diesem Zimmer etwas anrühre. Als die Meldung bei uns auf dem Präsidium eintraf, habe ich mich sofort mit Herrn Dr. Werres und dem Kriminalbeamten Behrent hierherbegeben. Wir haben das Zimmer genau untersucht, aber weder eine Waffe noch sonst etwas Besonderes gefunden.


4. Kapitel.

Der Staatsanwalt hatte den Bericht des Kommissars mit keinem Wort unterbrochen. Jetzt schaute er fragend auf.

„Also das haben Sie durch die bisherige Vernehmung festgestellt?“

„Jawohl, Herr Staatsanwalt – durch die Vernehmung des Prokuristen und des ersten Kassierers. Der zweite Kassierer, Herr Willert, konnte nicht viel aussagen, da er in der für die Sache wichtigsten Zeit, also in der Zeit von ¼11 bis 11, nicht in der Bank anwesend war.“

Der Staatsanwalt nickte. „Schön … Wir hätten also festzustellen, ob die Aussagen dieser beiden Herren stimmen. Ist dieses der Fall, so kommt als Täter nur dieser Baron v. Berg in Betracht.“

(Fortsetzung folgt)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)