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Seine stämmige, schlaksige Gestalt entsprach irgendwie dem Urbild des Männlichen, das sie in ihrem Gemüt trug. Seine Stimme, die aus dem Chaos des Chors herausdrang, war ihr schon bei der ersten Probe aufgefallen. Sie hatte gerade vor Heise gestanden, zufällig. Da brach dieser starke volkstümliche Tenor hinterrücks über sie her wie eine Woge. Sie wandte sich überrascht um und sah ihn zum ersten Mal. Von da an sah und hörte sie ihn immer wieder. Seine Stimme, sein Gesicht, seine Figur, seine Persönlichkeit, sein Wesen, von dem sie so gut wie nichts wusste, übten auf sie eine bannende Gewalt. Alles sprach in einer neuen, nie erlebten Art zu ihren Sinnen. Dieser grosse kleine Chorist mit dem sandfarbenen wüsten Haarschopf und dem schäbigen Anzug war der erste Mann, der Jo Ternitz erregte und in seinen mystischen Lebenskreis sog.

Sie war ein verwöhntes Kind des Glücks, stammte aus sehr gutem Hause, – ihr Vater war ein bayrischer General – und hatte fast mühelos ihren steilen Weg gemacht. Aus dem Unterricht einer abgedankten berühmten Sängerin war sie ins Engagement nach Stuttgart gekommen. Nach zwei Jahren bewarb sich Dresden um ihren berückenden Sopran. Von dort hatte Buchner sie für die Rolle der „Isabella“ nach Berlin geholt.

Es war alles von selbst, ohne Anstrengung, ohne Enttäuschung, scheinbar ganz selbstverständlich verlaufen. Nicht ohne angestrengteste Arbeit an sich und ihrer Stimme. Nicht ohne unermüdlichen Fleiss. Aber doch ohne Demütigung, ohne verzagtes demütigendes Warten, ohne Herz und Nerven zermürbendes Hoffen.

Viele Männer waren Jo Ternitz begegnet. Kollegen und sogenannte

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Alfred Schirokauer: Der Held von Berlin. Typoskript, Berlin o. J., Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Held_von_Berlin.pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)