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Sie Ihre kastrierte Rolle von Herrn Müller oder Herrn Schulze singen. Ich bin solche Anremplung Gott sei Dank nicht gewöhnt und lasse sie mir nicht bieten.“

Dann wandte er sich grossartig auf dem Absatz um und schritt in einer Haltung, die er für imponierend hielt, in die Kulisse.

Im Bühnen- und Zuschauerraum vereiste alles Leben. Eine Erstarrung folgte dem turbulenten Abgang. Buchner stierte mehr perplex als ergrimmt dem Enteilenden nach.

Da geschah es. Da geschah etwas unerwartetes. Peter Heise stürmte aus der Rotte des Chores hervor, platzte auf den verblüfften Buchner los und keuchte zwischen Zähnen, die vor Erregung klirrten:

„Herr Direktor, geben Sie mir die Rolle! Ich kann sie Wort für Wort, Ton für Ton. Ich hab sie studiert, die Nächte hindurch. Ich will es Ihnen beweisen. Kapellmeister, spielen Sie das Abschiedslied.“

Und ohne auf die Begleitung zu warten, begann Peter Heise, das unscheinbare, kaum je beachtete Mitglied des Chores, das Abschiedslied des Columbus zu singen, das für Henry Bara, den grossen Tenor der Metropolitan Opera, komponiert worden war.

Es war nicht die kultivierte, vornehm geschulte und liebevoll gepflegte Stimme Baras. Aber es war ein Tenor, durchzittert von einem erquickenden Hauch von Natürlichkeit, durchpulst von Leben und warmem Blut. Aus Baras Kehle hatte dieses Abschiedslied des grossen Genuesen geklungen wie ein altspanisches Chanson. In Peter Heises Mund wurde es zu einem deutschen Volkslied.

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Schirokauer: Der Held von Berlin. Typoskript, Berlin o. J., Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Held_von_Berlin.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)