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eine Ecke. Das Mädchen tat es.

„Danke,“ sagte Jo unbefangen. Das Mädchen ging. Dann war eine Pause würgender Pein. Endlich fragte Jo mit gewaltsam leichtem Ton:

„Warum ziehen Sie mit dem Koffer umher?“

Er sass vornübergebeugt, die gefalteten Hände an den langen Armen hingen schlaff zwischen seinen Knien[1] nieder. Er starrte zu Boden. Langsam richtete er seine Stirn empor. Seine Augen schienen ihr gerötet. Eine Qual flackerte in ihnen.

In diesem Augenblick seiner tragischen Demütigung liebte Jo ihn zuerst. Liebte zum ersten Mal mit der Liebe, die über Zeit und Stunde steht, und der Liebe, vor der ein Tag ist wie ein Jahr und ein Jahr wie ein Tag. Alles Gute, Mütterliche, Zärtliche ihrer liebevollen Natur ballte sich in ihr gewaltsam zusammen und sprang ihm entgegen.

„Aber, mein Junge – sag doch – sprich doch.“ Sie drängte sich an seinen Stuhl. „Was ist denn? Kannst du es mir nicht sagen?“

„Doch!“ Ein letzter Trotz, dann löste sich in ihm das Eis, das Jahre der Not und erbitterten Stolzes zusammengefroren hatten. Es zersprang unter der tauenden Gewalt ihrer Innigkeit. „Meine Wirtin hat mich hinausgeschmissen!“ Er versuchte zu lächeln, versuchte sein Missgeschick zu bagatellisieren. „Und weil ich nicht zu spät kommen wollte – – aber das macht nichts, ich finde nachher schon was. Sie brauchen – du – brauchst dich nicht zu beunruhigen. Ich – –“

Weiter kam er nicht. Sein Gesicht war plötzlich in

  1. Vorlage: Knieen
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Schirokauer: Der Held von Berlin. Typoskript, Berlin o. J., Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Held_von_Berlin.pdf/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)