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aus der Wohnung des Anwärters auf ihre erste Untreue getrieben, hatte sich zur Erbitterung und einen tiefen Groll gegen den Mann aufgebläht, dem sie fast zum Opfer gefallen war. So sah sie ihr Erlebnis mit dem Tenor. Als einen „Reinfall“ auf ein wunderbares Grammophon. Das war er. Mehr nicht. Sie war ungerecht. Sie zürnte dem Sänger unversöhnbar, weil er nicht klüger, nicht geistiger, nicht innerlich vornehmer war, kurz, dass er nicht dem Bild entsprach, das sie sich von ihm entworfen hatte. Als ob ihn ritterliche Ehre verpflichtete, einem romantischen Konterfei ihrer ausschweifenden Phantasie zu entsprechen! Der grosse, von der Welt vergötterte Sänger war für sie zu einem aufgedunsenen, hohlen Popanz geworden.

Je tiefer Bara in ihrer Achtung sank, desto höher stieg der verklärte Unbekannte, der Chorist, von dem Bara sehr unbesonnen und, trotz seiner zahlreichen Abenteuer, als stümpernder Ignorant der Frauenpsyche erzählt hatte.

Dieser Mann aus der Niederung des Theaters war für Viola zu einem geheimnisvollen Helden geworden. Er packte ihren Snobismus ebenso stark wie ihr romantisches Gemüt. Ein Mann, der Bara beinahe ausgestochen hatte, ein Mann, der im Dunkel dahinvegetierte! Hier blühte eine Aufgabe für eine Dame der grossen Welt. Sie fühlte ein Zucken in der Hand wie ein Wünschelruten-Gänger, der ein Radiumlager gesucht und gefunden hat. Hier erwuchs eine unwiderstehliche Lockung.

Bisher, in ihren Kreisen, hatte sie und die Ihren immer nur den „Arrivierten“, den „Prominenten“, den Grossen in Kunst und

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Alfred Schirokauer: Der Held von Berlin. Typoskript, Berlin o. J., Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Held_von_Berlin.pdf/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)