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Josephine Siebe: Der Kampf gegen die Schmutzliteratur (Reclams Universum, Jahrgang 26)

Zeit gehörte den Weihnachtsbüchern der Kinder. Wie viele Käufer und Käuferinnen aber sehen den Titel an, die Umschlagzeichnung, und wenn der Preis ihrem Wunsch entspricht, wird auf das Geratewohl gekauft. Daß man die besonderen Veranlagungen, Fehler, Neigungen eines Kindes berücksichtigen muß, wird recht selten in Betracht gezogen. Eine an sich harmlose Indianer- oder Seefahrtgeschichte z. B. kann aber schon für einen zum Abenteuerlichen neigenden Knaben schädlich sein, während vielleicht einem allzu schwärmerischen, sentimentalen Mägdlein eine etwas kräftigere Kost als eine sogenannte Backfischgeschichte not täte. Aber was bedeuten diese harmlosen Sachen gegen die Schundbücher, die unsere Kinder oft zu lesen bekommen. Sorgfältige Überwachung der Mutter und Bildung des Geschmacks durch gute Bücher sind die Mittel, die helfen können.

Weit schwieriger ist es natürlich, die Lektüre der Dienstboten zu beeinflussen, schwierig oft, weil ein starker Gegenwille da ist. Auch hier kann die Hausfrau nur wirken, wenn sie selbst, dem vorhandenen Lesebedürfnis Rechnung tragend, für gute Lektüre sorgt, auch einmal über das Gelesene spricht, kurz, Interesse für das geistige Leben ihrer Dienstboten zeigt. Manchmal hilft wohl auch das einfache Rechenexempel: das Mädchen findet es billiger, wenn die Frau für die Bücher sorgt, als wenn sie selbst 10–20 Pfennig für ein Bändchen zahlen soll. – Was soll solch ein Mädchen lesen, woher sind die Bücher zu nehmen? Manches Buch des Bücherschrankes eignet sich wohl gut dazu, und das Mädchen, das ein Buch aus dem Familienbücherschrank zu lesen bekommt, wird dies sicher zu schätzen wissen. Dann haben wir billige Büchersammlungen, die das Beste bieten; wir haben Volkslesehallen, zu deren Besuch die Dienstboten angehalten werden können. Die Erfahrungen der Lesehallen über den Geschmack können zum Ratgeber dienen. Vielfach wird ja der Fehler gemacht, daß die Leser zu rasch gebildet werden sollen. Menschen, die den ganzen Tag über schwer arbeiten, haben in den Mußestunden selten Lust und geistige Spannkraft zu einer schweren Lektüre. Ihre Phantasie will spielen, will sich behaglich in einem weiten Garten ergehen, diese Lust ist es auch, die zügellos geworden und der Schundliteratur immer neue Leser zuführt. Ungeleitet wird das Spiel zur Leidenschaft, das Lustwandeln im Garten der Phantasie zum wüsten Rasen; wer also helfen will, muß zuerst zu leiten verstehen, muß wissen, was not tut. Es gilt auch hier, wie bei so mancher sozialen Arbeit, Dämme zu bauen, um der trüben Schlammflut Einhalt zu tun, und es wäre gut, wenn sich die Frauen der Gefahr bewußt würden und mitbauten an den Schutzwällen – gilt es doch oft das größte Heiligtum der Mutter, die Seele ihrer Kinder, zu schützen.

Empfohlene Zitierweise:
Josephine Siebe: Der Kampf gegen die Schmutzliteratur (Reclams Universum, Jahrgang 26). Phillip Reclam jun., Leipzig 1910, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_gegen_die_Schmutzliteratur.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)