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Walther Kabel: Der Kronschatz der Cumberlander. In: Das Buch für Alle, 49. Jahrgang, Heft 9, S. 206 u. 208

August von Hannover sie 1838 zurückforderte. Ein Jahr vorher war die bis dahin zwischen England und Hannover bestehende Personalunion bekanntlich aufgelöst worden, da die am 20. Juni 1837 in England zur Herrschaft gelangte Königin Viktoria als Frau nach dem deutschen Erbfolgerecht nicht den Thron des inzwischen zum Königreich erhobenen Hannover besteigen konnte und daher der jüngere Bruder des Vaters der Königin Viktoria, der Herzog von Cumberland, als der nächstberechtigte Agnat Regent des neuen Königreichs werden mußte.

Über die weiteren Schicksale des hannoverschen Kronschatzes erzählt die 1888 verstorbene Gräfin Juliane von Kielmansegg, die Witwe des Königlich Hannoverschen Staatsministers Grafen von Kielmansegg, in der Familienchronik dieses Geschlechts interessante Einzelheiten. Diese dem Hause Cumberland treu ergebene Aristokratin erhielt im Februar 1867, nachdem Hannover am 20. September 1866 preußische Provinz geworden war, von dem nach London geflüchteten blinden König Georg V. die Aufforderung, die gesamten Kronjuwelen des hannoverschen Hauses von der Marienburg bei Nordstemmen, wo sie sich bei der Königin Marie von Hannover befanden, nach England in Sicherheit zu bringen. Man befürchtete nämlich, daß Preußen die Kleinodien des entthronten Herrschergeschlechts, das sich entschieden weigerte, eine Verzichturkunde auf Hannover zu unterzeichnen, beschlagnahmen würde, und ging daher mit allergrößter Vorsicht zu Werke. Der ganze Schatz wurde am 3. März 1867 von der als Bäuerin verkleideten ersten Kammerfrau der Königin in gewöhnlichen Marktkörben, die oben mit Feldfrüchten bedeckt waren, auf einem Wägelchen von der Marienburg nach einem Gehölz bei Wunstorf gebracht, dort am späten Abend in den gräflich Kielmanseggschen Reisewagen umgeladen und nach deren Landhause Blumenau bei Hannover gebracht. Dort fand, nach dem Kroninventar, die Übergabe jedes Stückes an die Gräfin statt, die sich schriftlich verpflichtete, die Kleinodien in London an den Herzog Georg Wilhelm von Cambridge abzuliefern.

In den nächsten Wochen wurde jedes einzelne Stück in Watte und Leinen gehüllt und dann in Kleidungsstücke eingenäht. Die „englische Tiara“ mußte vorher in drei Stücke mittels einer feinen Säge zerschnitten werden. Verschiedene Taschen, die lose Edelsteine enthielten, befestigte sich das gräfliche Ehepaar unter den Kleidern. In der Handtasche der Gräfin steckte die kleine Juwelenkrone in einem mächtigen Wollknäuel. Ein Strahlendiadem verbarg die Gräfin, in Ohrenwärmer eingenäht, unter dem Hut, acht Perlenhalsbänder hatte sie unter den Kleidern um den Hals gelegt. Der Graf trug große Juwelenschleifen und die Stücke der „englischen Tiara“ an sich. Das Zepter und drei goldene, mit Edelsteinen verzierte Kronen blieben, da sie nicht am Körper verborgen werden konnten, in Blumenau zurück, und zwar waren sie in dem Kübel einer alten Palme im Wintergarten verborgen worden.

Als das Ehepaar such dann auf die Reise nach London machte, trug es für etwa fünf Millionen Mark Schmuck bei sich. Am 14. März wurde mit dem Nachtzuge nach Köln gefahren. An der preußischen Grenze ging alles gut. Trotzdem war die Gräfin ständig einer Ohnmacht nahe, während das Gepäck revidiert wurde. Sie befürchtete bis zum letzten Augenblick, daß ihr Vorhaben verraten sein könnte und man sie und ihren Gatten einer Leibesvisitation unterziehen würde. Bis Calais kam das Paar unbelästigt davon. Hier aber entstanden Schwierigkeiten, die dann nur durch einen glücklichen Zufall beseitigt wurden.

In jener politisch so bewegten Zeit hatte die französische Regierung Befehl gegeben, besonders deutsche Passagiere, die nach England wollten, scharf zu überwachen. Als das gräfliche Ehepaar nun die Zollsperre in Calais passieren und das Schiff nach Dover besteigen wollte, bemerkte es noch im letzten Augenblick, wie einige deutsche Reisende in einen Nebenraum geführt wurden, um dort untersucht zu werden. Schleunigst machten die beiden kehrt und begaben sich wieder in ihr Hotel. Hier erfuhren sie, daß soeben erst die Großherzogin Auguste Karoline von Mecklenburg-Strelitz, eine geborene Prinzessin von Großbritannien und von Hannover, mit Gefolge eingetroffen sei und am nächsten Tage ebenfalls nach London reisen wolle. Sofort ließ sich die Gräfin Kielmansegg bei der Fürstin melden und bat, deren Dampfer, ein Regierungsfahrzeug, mitbenützen zu dürfen, freilich ohne sich der Großherzogin ganz anzuvertrauen. Auf diese Weise wurde die Zollrevision, der die Begleitung der Fürstin ebenfalls nicht unterworfen war, vermieden. Auch in Dover wickelte sich alles glatt ab. Vier Tage mußte das gräfliche Paar dann noch im St.-James-Hotel in London die Juwelen bewachen, bevor diese dem Bankhause Coutts durch den Herzog von Cambridge in Verwahrung gegeben wurden. Ein Vierteljahr später schaffte die Prinzessin Luise von Hessen, eine Schwester der Herzogin von Cambridge, in ihrem Gepäck auch die in Blumenau in dem Palmenkübel bis dahin verborgenen Kleinodien, das Zepter und die drei Kronen, nach London.

Im Mai des Jahres 1869 erhielt dann die Gräfin Kielmansegg durch ein geheimes Schreiben des früheren Königs von Hannover, der inzwischen seinen dauernden Wohnsitz in Gmunden genommen hatte, den Auftrag, den Kronschatz von London wieder abzuholen und nach Gmunden zu bringen, wobei sie jedoch auf keinen Fall preußisches Gebiet betreten sollte. Dieser Zusatz war aus besonderen Gründen hinzugefügt worden. Nachdem Preußen das ehemalige Königreich Hannover seinem Besitz einverleibt hatte, war dem früheren König Georg V. durch Vertrag vom 29. September 1867 das Privatvermögen seines Hauses im Betrage von achtundvierzig Millionen Mark zugewiesen worden. Bevor jedoch die Auszahlung erfolgte, begann Georg V. mit allen Mitteln die Wiedererlangung Hannovers zu betreiben. Die daraus entstehenden Zwistigkeiten zwischen Preußen und dem jetzt in Gmunden residierenden Welfenhause spitzten sich schließlich so zu, daß Bismarck die achtundvierzig Millionen zurückhielt und durch eine besondere Kommission in Hannover verwalten ließ. Die Zinsen wurden zur Bekämpfung welfischer Umtriebe benützt, daher der Name „Welfenfonds“. Es sei aber hier gleich erwähnt, daß das inzwischen auf sechzig Millionen angewachsene Riesenvermögen im Frühjahr 1892 an die Cumberlander ausgezahlt wurde, nachdem Georgs V. Sohn, der Herzog von Cumberland, in einem Brief an Kaiser Wilhelm II. jede Absicht feindseliger Unternehmungen gegen Preußen von sich gewiesen hatte.

Die Gräfin ging mit besonderer Vorsicht bei der Überführung der Kostbarkeiten zu Werke. Da ihr Gatte seit einiger Zeit kränkelte und den mit dieser verantwortungsvollen Reise verbundenen Aufregungen nicht gewachsen schien, gewann sie in ihrem Sohne Alexander, der zu jener Zeit österreichisch-ungarischer Marinebevollmächtiger in London war, einen wertvollen Helfer. Die Juwelen wurden zunächst aus den Gewölben der Bank abgeholt und nach vielen Kreuz- und Querfahrten in einen Wagen, dessen Kutscher niemand anders als der junge Graf selbst war, in ein Privathaus gebracht, wo Mutter und Sohn unter angenommenem Namen eine Etage gemietet hatten. Sodann nähte die Gräfin wie das erstemal die Kleinodien teilweise in ihre Kleider ein, während den Rest der junge Kielmansegg an seinem Körper und in zwei harmlosen Hutschachteln unter Zylinderhüten verbarg. Das Zepter wurde in einen Schirmüberzug untergebracht, und die wertvollste Krone verbarg die Gräfin in einer großen Bonbonniere. Von London ging die Reise zunächst nach Paris. Graf Alexander hatte sich von seinem Vorgesetzten, dem österreichisch-ungarischen Botschafter in London, einen sogenannten „Kurierpaß“ ausstellen lassen, wodurch er und seine Mutter der Zollrevision überhoben wurden. Vorsichtshalber fuhren Mutter und Sohn auf dem Umwege über die Schweiz nach Gmunden, hatten dafür aber auch die Genugtuung, ganz unbelästigt an ihrem Bestimmungsort einzutreffen. Mit begreiflicher Freude bemerkt die treue Frau am Schluß ihrer Aufzeichnungen, daß bei der Vergleichung der Juwelen mit dem Kroninventar auch nicht ein Steinchen gefehlt habe. Hätte der gesamte Schmuck an den Zollgrenzen, deren ja nicht weniger als vier – die englische, französische, schweizerische und österreichische – zu passieren waren, verzollt werden müssen, so wären nicht weniger als eine halbe Million Mark zu bezahlen gewesen.

Dieser Kronschatz, der so merkwürdige Schicksale durchgemacht hat, befindet sich noch heute im Gmundener Schlosse und wird nach dem Tode des Herzogs von Cumberland auf dessen einzigen Sohn Ernst August, den Gemahl der Prinzessin Viktoria Luise von Preußen und nunmehr regierenden Herzog von Braunschweig, übergehen.


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Kronschatz der Cumberlander. In: Das Buch für Alle, 49. Jahrgang, Heft 9, S. 206 u. 208. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kronschatz_der_Cumberlander.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)