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Kultur als wahre Blüte der Humanität bewundern muss. Die Bändigung und Vergeistigung der Naturen macht sich nun aber vor allem in der Minderung des Lärmes geltend! Sie macht sich geltend in dem wachsenden Schweigen, das uns als Ausdruck wachsender Weisheit und Gerechtigkeit umgibt. – Es ist lehrreich, Völkertypen von verschiedener Domestizierung der Seele in dieser Beziehung zu vergleichen. Es erweist sich zunächst, dass der Unterschied zwischen Lärmhaftigkeit oder Schweigsamkeit des äusseren Lebens mit der Frage zusammenhängt, ob eine Bevölkerung mehr der spielenden oder der arbeitenden Kultur nahesteht. Wo der Mensch noch das grosse spielende Kind der Erde ist, (unter Völkerstämmen Afrikas, Asiens, Australiens und im romanischen Süden Europas), da herrschen durchaus sinnliche Lautheit und Buntheit, die in keinem richtigen Verhältnisse stehen zu den ganz banalen Zwecken, die durch alle diesen Aufwand von Lärm und sinnlichem Anreiz angestrebt und erreicht werden. Der Südländer lärmt eben aus eitel Betäubungslust. Er lärmt mit Behagen. Er übt ganz naiv jene Triebhaftigkeit betäubender Funktionen, die zugleich mit der rationalen Bewusstheit und „Zweckbestimmtheit” auch den Schmerzen der Existenz aus dem Wege geht. Der furchtbare Lärm, der sich auch in alle nachdenklichen und feierlichen Stunden des südlichen Lebens drängt, das Geschrei, mit dem diese kindlichen Menschen ihre Toten begraben, ihre Schicksalsschläge zerteilen, ihre Sorgen abwälzen und alle ihre Mängel und Qualen voreinander ausbreiten und auskramen, ja noch persönlichste Verwundungen laut und öffentlich aneinander rächen, – dieses ganze Schrei- und Lärmgetriebe entspricht jener primitiven „Tendenz zur Verbequemlichung des Lebens“, eben der selben Tendenz, der auf komplizierteren, schwierigeren, arbeitreicheren Lebensstufen nur noch bewusste Ökonomisierung der Kräfte genug tun kann. Dieser naive Lärm besitzt daher ausnahmslos und überall natürlichen Zusammenhang mit spontaner Vergeudung oder mit einem Leben luxurierenden Müssiggangs. Je verspielter und unrationaler die kindlichen Existenzen sind, in um so lauteren Formen des Lebens werden sie sich in der Regel verbrauchen. Alle lebendigen Kräfte, die nicht in „Sanktionen” eingespannt werden und sich nicht auf positive, das Leben heiligende und determinierende Ziele eingestellt haben, sie „verpuffen” in einer Orgie unaufhörlichen Karnevals. Das ganze Leben scheint noch Mummenschanz, Willkür und Sinnlosigkeit zu sein; Taumel oder allerlei vague Begeisterung; unverstandener oder unverständiger Fanatismus; wüste und wilde Demolierungssucht! Und hinter all diesem Gelärme und Getöse der grossen, zwecklosen Masse steht doch ein unbändiges, grundloses Selbstgefühl. Die Furcht und Flucht vor Langenweile einerseits und andererseits die lebendige Freude an innerer Entspannung überschüssiger und lungernder

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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/21&oldid=- (Version vom 31.7.2018)