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Tribunen, Restaurants, erstklassige Hotels… und an Stelle des überflüssigen Thymians wird das sehr viel nützlichere Benzin zum Himmel riechen, in ganzen ungeheuren Wolken, und weithin von dem endgültigen Sieg der deutschen Industrie Zeugnis ablegen. Gewiss, es muss ja sein, und von rein praktischem Standpunkt lässt sich gegen die Idee nicht viel einwenden. Wenn Automobilrennen sein müssen, so ist es immerhin vorteilhafter, wenn sie in der Einöde des Nordens, als wenn sie im dichtbewohnten Süden unseres Vaterlandes abgehalten werden. In Frankreich und in England wurden die grossen Automobilhetzen –, solange sie dort noch erlaubt waren – in den einsamen Distrikten, in der Auvergne und in Irland abgehalten, und unsere Rennen mitten durch den starken Verkehr Hessens hindurch waren schon mehr als bedenklich. Und dass es richtiger ist, einsames Heidekraut als Bauernwagen umzurennen, das gibt auch der Naturfreund, wenngleich zögernd, zu. Und doch, schade drum, schade um unsere Lüneburger Heide. Sie war keine Sehenswürdigkeit, kein grossartiges Naturdenkmal, etwa wie in Frankreich der Wald von Fontaineblau. Aber sie war deutsch, war alles in allem der letzte Rest unberührten und unverfälschten deutschen Bodens inmitten der mehr und mehr der Industrialisierung verfallenden Welt. Während die Kultur allenthalben siegte, änderte sich seit Urzeiten hier nichts, in der stillen Einöde zwischen Aller und Elbe und der Küste des grauen Meeres. Die Dörfer sehen heute genau so aus, wie in den Urtagen unserer Rasse, unerbrochene Königsgräber künden fort und fort von alter, grosser Zeit, und zäh hält der sächsische Stamm, der hier sitzt, an alter Sitte fest. Diesen Sachsen konnte keiner beikommen. Drusus nicht und der grosse Karl nicht und nicht einmal die Eisenbahn der neuen eiligeren Zeit; erst jetzt werden sie ihre Meister finden; jetzt werden sie nur der Einwanderung französischer Chauffeure, Berliner Terrainspekulanten und Wiener Oberkellner weichen. Der Rhein ist reguliert, die Wälder verwandeln sich in Tummelplätze, auf den Montblanc fahren Extrazüge hinauf und die Wogen des Meeres werden mit Haaröl geglättet, und der einzige Einsiedler, den ich in meinem Leben sah –, im Schlesischen Gebirge, – handelte mit Ansichtspostkarten. Wohin sollen wir Träumer entfliehen? Vielleicht zu den Sternen hinauf? Nein, auch zu ihnen nicht; ihre Poesie verschwand, seitdem uns die Astronomen lehrten, dass auch die Sterne kanalisiert sind, wie das erste beste Rieselfeld.” –

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Wenn man auf dem Bahnhof eines „Knotenpunktes” das Getriebe der ankommenden und abfahrenden Reisenden betrachtet, wenn man alle diese gleichmässig rücksichtslosen und kaltsinnigen Menschen sieht,

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/50&oldid=- (Version vom 31.7.2018)