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Ebenso konnte ein Gastwirt, der auf Grund der Gewerbe-Ordnung § 27 nächtliche Tanzmusik veranstaltete, gestraft werden, weil er diese Befugnis bewusst missbrauchte… Es muss nun aber viertens auch die ruhestörende Handlung als „vorsätzlich” nachgewiesen werden. Auch hierbei wird jedoch von den Strafrechtlern darüber gestritten, ob es genügt, zu zeigen, dass der Täter sich bewusst ist, durch seine Handlungen andere Leute zu stören, oder ob diese Störung gewollt und eben als Störung gewollt sein muss. Es besteht mit anderen Worten die Frage, ob der Lärm als culpa oder als dolus strafbar sei. – Einige Autoritäten halten für genügend, dass der Erfolg dem Täter „zur Fahrlässigkeit zugerechnet werden könne.” Andere dagegen halten dafür, dass neben dem Bewusstsein der vorliegenden Ungebühr auch ausdrücklich eine „Vorsätzlichkeit” nachgewiesen werden muss. Die Begriffswelt dieser ganzen juristischen Streitigkeiten ist vollkommen typisch für die kindische, dilettantische Psychologie und primitive Rechtsphilosophie, auf Grund derer heute eben noch Recht gesprochen wird. Endlich ist man auch darüber nicht einig, ob wiederholtes Lärmen als eine oder als eine Mehrheit von Handlungen abzuurteilen sei. Vor allem hängt ein wahrer Rattenschwanz von Streitigkeiten der „Autoritäten” an dem Begriffe „grober Unfug”. Wo beginnt und endet die „Grobheit”? was ist „Unfug”? was „polizeiliche Ungebühr”? Wenn ein Fabrikarbeiter nachts Laternen demoliert, dann ist es „öffentlicher Unfug”, wenn es ein Bonner Borusse tut, dann wird er „in Ungebühr genommen.” Eine Reihe juristischer Kapazitäten betonen, dass der Zweck von Ziff. 11 nicht darin gesucht werden dürfe, „dass sie überall Aushilfe gewährt, wo eine mit der öffentlichen Ordnung nicht verträgliche Erscheinung in irgend einen Kausalzusammenhang mit menschlicher Tätigkeit gebracht werden kann, ohne dass ein spezieller Tatbestand einer strafbaren Handlung sich konstruieren lässt.” Dies würde ja dem Grundsatz widersprechen: „wo kein Gesetz vorliegt, da gibt es kein Vergehen.” – Wir ersehen aus alle diesem, dass das Zusammenwerfen des Lärms mit dem „groben Unfug” in der selben Paragraphennummer (die ursprünglich nichts als die „öffentliche Ruhestörung” treffen sollte), zu dem widerwärtigsten Kuddelmuddel geführt hat! Alle Handbücher des Strafrechts sind angefüllt mit Erörterungen über „das Wesen des groben Unfugs.” – Einer besonderen Popularität erfreut sich dabei die Frage, ob es auch einen „Unfug durch die Presse” gäbe, (denn auch das „straffällige Pressedelikt” fällt – (sehr bezeichnend!) – unter die selbe Ziffer, die den Lärm mit 150 Mark Geldbusse bedroht). Ein Teil der Strafrechtslehrer verneint schlechtweg, dass es anderen „groben Unfug” gäbe als durch physisch lästig fallende Handlungen[1]. Gleichwohl ergehen


  1. z. B. Bar, Frank, Liszt. H. Meyer.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)