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Grundstück kaufen will, ein anderer aber, der das weiss, kommt mir mit der Erwerbung eines Nachbargrundstücks zuvor, auf dem er, noch ehe mein Kauf perfekt ist, einen „lärmzuführenden Betrieb” anlegt, soll ich da etwa des Schutzes von § 903 verlustig gehen, wonach ich jeden andern unbeschränkt von der Einwirkung auf meine Sache ausschliessen darf? Muss ich die Immission dulden, wenn man mir nachweisen kann, dass, bevor eben ich an dieser Stelle mich niederliess, die mich schädigende Einwirkung schon früher bestanden hat, ohne dass andere Leute sich geschädigt fühlten? Dann gäbe es eben überhaupt keinen Schutz gegen Immissionen. Dann könnte jeder auf seinem „Eigentum” so viel lärmen, skandalieren und Gestank vollführen, wie er will. Er könnte sich darauf berufen, dass das schon immer so gewesen sei und dass mein Vorgänger, der mit ihm befreundete Schlächtermeister X. sich nie darüber beklagt habe. Eben um dieser „faulen Ausrede” willen verfügte das Gesetz, dass der gegenwärtig gegebene Zustand, nicht aber was früher beliebt und historisch gepflogen ist, entscheiden solle. Gegen diese Rechtsverfügung verstösst das deutsche Reichsgericht. Es verstösst dagegen, wenn es Klagen auf Immissionen mit der Begründung ablehnt, dass die den Kläger beeinträchtigenden Anlagen, z. B. die Anlage einer Fabrik, eines Trambahndepots, einer Eisenbahn sich „naturgemäss entwickelt” haben. Damit wird das Klagerecht gar nicht geprüft, sondern abgeschnitten, denn wo immer Störungen auftreten, da haben sie sich selbstverständlich auch „naturgemäss entwickelt“[1].


6.
Gewerbeordnung § 26.

Wir wollen nunmehr sehen, welche Handhaben neben Strafrecht und Zivilrecht schliesslich das Verwaltungsrecht im Kampfe wider den Lärm zu bieten hat. Ich kann auf Grund des § 26 eine doppelte Klage gegen die Lärmstörung einleiten. – Einmal die Herstellungsklage, sodann die Entschädigungsklage. Das heisst einmal die im Eigentumsrecht wurzelnde „dingliche Störungsklage”, die sog. Actio negatoria; sodann die ungleich erfolgreichere „deliktische Schadenersatzklage”. Für die erste kommen folgende §§ des B.G.B, in Betracht: 1004. 1011, 1017, 1027, 1065, 1134, 862; für die zweite der § 823. – Gesetzt nun, ich erhebe den „negatorischen Einspruch” nach § 1004, so heisst das, dass ich die Herstellung von Einrichtungen fordere, die mich gegen Benachteiligung durch Lärm und Geräusch beschützen. Werde ich mit dieser Forderung abgewiesen, dann kann ich immer noch die in der Regel günstigere


  1. Hierzu Turnau und Förster, Liegenschaftsrecht Bd. 1, S. 285, Bem. 3, Abs. 2. Gruchot, Beiträge Bd. 25, S. 960, Bd. 2, S. 905. Seuffert, Archiv Bd. 46, S. 390. Brassert, Z. Bergr. 42, 332.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/85&oldid=- (Version vom 31.7.2018)