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8.
Negatoria und Inhibierungsklage.

Eine wesentliche Abänderung erfährt die Lärmklage, wenn es sich nicht um einen der durch die Gewerbeordnung konzessionierten lärmenden Betriebe handelt. In diesem Falle kann ich mich nicht auf § 26 G.O. beziehen; aber ich kann die bereits erwähnten Klagen nach § 906 oder nach § 823 zu führen versuchen; zugleich aber habe ich in diesem Falle auch die Möglichkeit nach § 907 auf Inhibierung zu klagen… Mit anderen Worten: ich kann wofern ich nicht auf die Gewerbeordnung mich zu beziehen brauche, gegen den Lärm im Zivilprozess vorgehen: 1. durch Herstellungsklage, 2. durch Leistungsklage, 3. durch Inhibierungsklage. – Ich fordere dann also, dass entweder Schutzvorrichtungen wider den Lärm getroffen werden (§ 906), oder dass man mich für erlittenen Schaden schadlos hält (§ 823), oder dass der lärmende Betrieb vollständig inhibiert werde (§ 907). Diese letztere Forderung ist, wie wir sahen, bei einem gewerbepolizeilich konzessionierten Betriebe nicht möglich, wenigstens dann nicht, wenn die von den Verwaltungsbehörden vorgesehene Präklusivfrist (G.O. § 17) ohne Klagestellung einmal verstrichen ist. Endlich aber steht mir auch bei einer Lärmklage auf Grund des Sachenrechtes die berühmte actio negatoria, der § 1004 B.G.B, hilfreich zur Seite… Indessen dieses alles sind Truggebilde, sind ganz leere Hoffnungen. Auch alle diese Paragraphen werden mich in der Regel vollständig schutzlos lassen. – Man sollte freilich annehmen, dass wenigstens die Klage auf Grund des blossen Einspruchparagraphen (907) irgendwelchen Erfolg hätte, da mit ihr keinerlei Absicht auf Schadenersatz oder Bestrafung verbunden ist, sondern lediglich die Abstellung einer mein „Eigentum” schädigenden Einrichtung ambiert wird. Aber hier hängt eben alles an der beschränkten Fassung des juristischen Begriffes vom „Eigentum”. Man wird mich nur dann zur Klage zulassen, wenn ich ein im Grundbuch eingetragener Hausbesitzer bin, „dem aus der Zuführung von Geräuschen eine dauernde Schädigung erwächst“. Damit ist die Klasse von Menschen, deren Gesundheit gegen Lärm geschützt wird, von vornherein eng umgrenzt, es sind nur die „Eigentümer”. Der Begriff „Eigentum” aber, der im Lauf der Generationen eine merkwürdige psychologische Umwandlung erfährt, wird in der Rechtsprechung heute noch so plump gefasst, dass alles vom „Eigentum” ausgeschlossen bleibt, was ein Land- oder Amtsrichter nicht tasten, sehen, riechen und schmecken kann. Meine Geisteskraft, meine Gesundheit, der Schlaf meiner Nächte ist ja auch „Eigentum”, aber dies alles wird nicht als Eigentum geschätzt und anerkannt. Eine reale Sachbeschädigung dagegen, eine Entwertung des Besitzes durch benachbarte

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/90&oldid=- (Version vom 31.7.2018)