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beim Fahren über einen Wellblechviadukt vollführten (49, 236). Dann aber wird freilich hinwiederum in viel ablehnenderem Sinne dahin entschieden, dass Dampfdreschereien auf dem Lande geduldet werden müssen und ihr Lärm nicht klagbar sei (48, 247 und 42, 100). – Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig wurde 1888 der Besitzer des Sommertheaters verurteilt, dass er bei Vermeidung von 300 Mk. Geldstrafe das Eindringen unnötigen nächtlichen Lärmes in die Nachbarhäuser verhindern müsse (44, 6). Im ganzen zeigte die moderne Rechtspflege jedenfalls einen anwachsenden Fortschritt in der Behandlung der Negatorienklage gegen Lärm. Das wachsende Bedürfnis nach Ruhe und die steigende Unrast und Unruhe des modernen Lebens führte ganz von selbst dazu, dass der Lärm in die Reihe der klagbaren Delikte aufgenommen wurde. Das wird besonders einleuchtend, wenn man die erwähnten neuesten Entscheidungen des Reichsgerichts z. B. mit einem Verdikte des obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 1857 vergleicht (Seuffert 12, 123). Hier wird eine Lärmklage gegen eine Eisenbahngesellschaft noch kurz und bündig mit folgenden lapidaren Worten abgewiesen: „Der Lärm und das Getöse, das jemand auf seinem eigenen Grundstücke verursacht, wäre es auch noch so gross, gewährt dem Eigentümer des benachbarten Grundstücks nicht einen zivilrechtlichen Anspruch.” – Es ist wichtig, auf diese Veränderungen in der Justiz hinzuweisen, weil daraus hervorgeht, dass auch weitere Veränderungen der Rechtspflege möglich und wahrscheinlich sind. Ausdrücklich hat neuerdings das Reichsgericht anerkannt, dass die Abwehrklage gegen den Lärm eine moderne Notwendigkeit geworden ist (Seu. 38, 7 und 9). In einem Frankfurter Klagefall wird vom Reichsgericht konstatiert, dass „ursprünglich”, mit der Negatoria oder Confessoria im römischen Prozess der Lärmschaden nicht hätte belangt werden können, dagegen habe „ein moderneres Rechtsbewusstsein zweifellos einen Schadenersatz für den durch Lärm und Geräusche erlittenen Schaden zu garantieren [1]. – –

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  1. Ich bezweifle freilich, dass diese Meinung des Reichsgerichts über die Rechtsentwicklung historisch haltbar ist. Die Pandekten[WS 1] kannten in der Tat schon einen ausdrücklichen Schutz gegen Lärm. Das bestätigt Dernburg, Pand. § 199; Ihering, S. 111 ff.; Windscheid, Bd. 1, § 169. Spangenberg erhebt dagegen Widerspruch… Ich finde in einem Buche, „Gesundheit und Erziehung” von G. Stricker die Angabe, dass im alten Rom kein Kupferschmied in eine Strasse ziehen durfte, wo ein „Professor” wohnte; dies sei auch in den Pandekten verfügt. Vermutlich handelt es sich um irgend eine der zahllosen lokalen Bauordnungen und lokalen Gebäudeservituten der Römer (Dernburg I, 587). Bei den mir zugänglichen Pandektisten fand ich wenigstens, trotz fleissigen Durchforschens der Berliner Universitätsbibliothek, nirgend eine Verfügung dieser Art vorgetragen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. auch: Digesten, sind eine Zusammenstellung aus den Werken römischer Rechtsgelehrter.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/93&oldid=- (Version vom 31.7.2018)