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Türken fingen sofort an, zu plündern. Die etwa 400 Armenier, die von den 30 000 armenischen Bewohnern der Stadt noch zurückgeblieben waren, Greise, Frauen, Kinder und Kranke konnten sich zum größeren Teil in das Anwesen der deutschen Mission flüchten, wo wenigstens ihr Leben geschützt war. Was die Kurden von Armeniern noch vorfanden, schlugen sie tot, die Frauen nahmen sie mit. Schon nach vier Tagen verließen die türkischen Truppen wieder Wan. Am 14. Juli kehrten die russischen Truppen wieder zurück und mit ihnen viele armenische Familien. Später wiederholte sich, wie es scheint, dieser Wechsel der Besatzung noch einmal. Wan wurde von den Türken wieder besetzt und wieder geräumt. Die Russen kehrten zurück und haben seitdem Wan in Händen.

Schon die erste Räumung von Wan durch die Russen war ziemlich zwecklos. Vielleicht hatte die Heeresleitung nur die Absicht, die Armenier aus Wan herauszuholen. Denn der alte Grundsatz von Lobanoff-Rostowski: „Armenien ohne die Armenier“ hat niemals aufgehört das leitende Prinzip der russischen Armenierpolitik zu sein.

Verwüstungen im Gebiet von Wan, Urmia und Salmas.

Zu der Zeit, als Wan durch türkische Truppen belagert wurde, sind die wehrlosen armenischen Dörfer des Wilajets systematisch verwüstet und die Einwohner, soweit sie sich nicht flüchten konnten, massakriert worden. Die Flucht, die Anfang April einsetzte, als die Alaschkertdörfer und die Abagha-Ebene geplündert wurden, nahm von Woche zu Woche größere Maßstäbe an. Nach einer Statistik über die Massakers sind in der Zeit von Ende Oktober 1914 bis Mitte Juni 1915 im Wilajet Wan und in den benachbarten Distrikten des Wilajets Erzerum 258 Dörfer geplündert und zerstört und gegen 26 000 Armenier massakriert worden. Die übrige Bevölkerung entzog sich dem sicheren Untergang durch die Flucht. Das Wilajet

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/138&oldid=- (Version vom 31.7.2018)