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am Tag. Krankheiten brachen aus, die Sterberate stieg bis auf 50 am Tag. In den Dörfern töteten die Kurden fast jeden Mann, dessen sie habhaft werden konnten. Sechs Wochen lang hatten wir einen osmanischen Soldaten als Wache. Daß ich in Deutschland geboren bin, half viel, und niemand hat uns ein Haar gekrümmt. Soll ich berichten, wie die Türken an der Hauptstraße vor dem Stadttor einen Galgen errichtet hatten und viele unschuldige Syrer erhängt und andere erschossen wurden, die sie vorher lange Zeit im Gefängnis gehalten hatten? Ich will von all’ dem Greulichen schweigen. Nebst vielen anderen armenischen Soldaten haben sie einen hier vor dem Tore erschlagen und dicht hinter Frl. Friedemanns Mauer verscharrt, aber so nachlässig, daß ihn die Hunde zum Teil wieder herausscharrten. Eine Hand lag ganz offen. Ich nahm einige Schaufeln und wir warfen einen Hügel über ihn. Frl. Friedemanns Garten, das Eigentum der Deutschen Orient-Mission, wurde von den Mohammedanern zerstört, die Häuser zum Teil in Brand gesetzt. Mit Freuden haben wir die ersten Kosaken begrüßt, die nach 5 Monaten wieder erschienen. Man ist wieder seines Lebens sicher und braucht den Tag über die Tore nicht verschlossen zu halten.“

Die frühere Leiterin des deutschen Waisenhauses in Urmia, Frl. Anna Friedemann, die zu Anfang des Krieges gezwungen wurde, ihr Waisenhaus zu räumen und russischen Offizieren zu überlassen, erhielt den folgenden Brief:

„Die neuesten Nachrichten sagen, daß bei den (amerikanischen) Missionaren (in Urmia) 4000 Syrer und 100 Armenier nur an Krankheiten gestorben sind. Alle Dörfer der Umgegend sind geplündert und eingeäschert worden, besonders Göktepe, Gülpartschin, Tscheraguscha. 2000 Christen sind in Urmia und Umgegend niedergemetzelt worden; viele Kirchen sind zerstört und verbrannt worden, ebenso viele Häuser der Stadt.“

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/140&oldid=- (Version vom 31.7.2018)