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und die „Aufstände“ von Zeitun und Wan vor, Dinge, die nicht einmal in seinem Vergrößerungsglas nach etwas aussahen. Ich bemerkte, daß man auch zur Zeit Abdul Hamids dergleichen vereinzelte Vorgänge zum Anlaß für blutige Verfolgungen genommen hätte, und, daß gerade von jungtürkischer Seite Abdul Hamid deswegen verurteilt und seine Gewaltherrschaft gestürzt worden sei. Mir schiene, daß man die Politik Abdul Hamids jetzt weiterführe, ja überbiete. Ich selbst glaube nicht an die armenische Verschwörung und hätte aus meiner persönlichen Kenntnis armenischer Führer Grund dazu. Sodann kam ich auf die Massenverhaftung der armenischen Intellektuellen von Konstantinopel zu sprechen und fragte, ob die Untersuchung irgend welche Beweise für die Vorbereitung eines Aufstandes zutage gefördert habe. Ich wisse, daß dies nicht der Fall sei. Er lächelte zu allem gleichmütig und sagte: „Der Beweise darf es nicht, wir kommen selbst von der Revolution her und wissen, wie so etwas gemacht wird.“ Auch die wirtschaftlichen Folgen brachte ich zur Sprache und sagte: „Wahrscheinlich kenne ich das Innere durch ausgedehnte Reisen, humanitäre und wirtschaftliche Unternehmungen besser als Sie. Ihr Komitee, das in Saloniki seinen Ursprung hat, beurteilt die asiatischen Fragen nach Gesichtspunkten, die dem Innern fremd sind. Ob sie für Mazedonien, das ich nicht kenne, anwendbar sind, weiß ich nicht. Für Anatolien bedeuten sie den Ruin. In den Küstenländern haben die Griechen, im ganzen Innern von Anatolien die Armenier den Groß- und Kleinhandel fast ausschließlich in der Hand. Sie sind in den östlichen Provinzen die besten Ackerbauer und stellen in ganz Anatolien nahezu allein den Stand der Handwerker. Die Armenier sind der Magen des Reichs. Sie nehmen den Magen jetzt heraus und glauben, daß die andern Glieder, Turkmenen, Kurden, Lasen und Tscherkessen, seine Funktionen übernehmen werden. Das ist ein Irrtum.“ Er lächelte: „Mag sein, wir werden ein paar Jahre nach dem Kriege einen schwachen Magen haben. Wir werden uns

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite XIV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)