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zwei Monare unterwegs sind, nie die Kleider gewechselt haben, keine Gelegenheit zum Waschen, keine Unterkunft und nur wenig zu essen hatten. Die Regierung hat ihnen ein paar dürftige Rationen verabreicht. Ich beobachtete sie eines Tages, als ihnen das Essen gebracht wurde. Wilde Tiere hätten nicht gieriger sein können. Sie stürzten sich auf die Wachen, die das Essen brachten, und die Wachen schlugen sie mit Knütteln zurück. Mancher hatte daran für immer genug und blieb tot liegen. Wenn man sie sah, konnte man kaum glauben, daß das menschliche Wesen seien.

Geht man durch das Lager, so bieten einem die Mütter ihre Kinder an und flehen, daß man sie nehmen solle. Was schön war, haben sich die Türken unter Kindern und Mädchen schon ausgewählt. Sie werden als Sklaven zu gelten haben, wenn sie nicht noch zu Schlimmerem benutzt werden. Sie haben zu diese Zweck auch ihre Ärzte da gehabt, um die Mädchen, die ihnen gefielen, zu untersuchen und sich die Besten zu nehmen.

Männer sind nur noch wenig unter ihnen, die meisten sind unterwegs getötet worden. Alle erzählen dieselbe Geschichte, daß sie von Kurden angegriffen und ausgeraubt worden sind. Die meisten waren immer aufs neue angegriffen worden und viele, besonders die Männer, waren dabei getötet worden. Auch Frauen und Kinder wurden mitgetötet. Naturgemäß starben viele unterwegs an Krankheit und Erschöpfung. An jedem Tag, den sie hier zubrachten, gab es Todesfälle. Mehrere ganz verschiedene Transporte sind hier angekommen und nach ein oder zwei Tagen anscheinend ohne bestimmtes Ziel weitergeschoben worden. Die hier Angekommenen bilden alle miteinander nur einen kleinen Teil von denen, die aus ihrer Heimat aufbrachen. Wenn man fortfährt, sie so zu behandeln, wird es möglich sein, sich ihrer in verhältnismäßig kurzer Zeit zu entledigen.

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/173&oldid=- (Version vom 31.7.2018)