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beiden Seiten des Weges zahllose Leichen unbeerdigt liegen sehen, lauter junge Männer mit durchschnittenen Hälsen. (Es waren die zum Militärdienst eingezogenen Straßenarbeiter. Vergl. Seite 76.) Ein türkischer Pascha äußerte sich gegen einen angesehenen Armenier: „Seid froh, wenn ihr wenigstens in der Wüste ein Grab findet, das haben viele von euch nicht.“

Nicht die Hälfte der Deportierten bleibt am Leben. Vorgestern starb am Bahnhof hier eine Frau, gestern 14 und heute vormittag weitere 10. Ein protestantischer Pfarrer von Hadjin sagte zu einem Türken in Osmanieh: „Von diesen Deportierten bleibt nicht die Hälfte am Leben.“ Der Türke antwortete: „Das bezwecken wir ja nur.“

Es soll nicht vergessen sein, daß es auch Muhammedaner gibt, die die Greuel, die man an den Armeniern verübt, mißbilligen. Ein muhammedanischer Scheich, eine angesehene Persönlichkeit in Aleppo, äußerte in meiner Gegenwart: „Wenn man über die Behandlung der Armenier spricht, so schäme ich mich, daß ich ein Türke bin.“

Wer am Leben bleiben will, ist gezwungen, den Islam anzunehmen. Um dies zu befördern, werden hie und da einzelne Familien auf rein muhammedanische Dörfer geschickt. Die Zahl der Deportierten, die hier und in Aintab durchgekommen sind, beträgt bis jetzt etwa 50 000. Von diesen erhielten neun Zehntel am Abend vor der Abreise den Befehl, daß sie am Morgen aufzubrechen hätten. Der größere Teil der Transporte geht über Urfa, der kleinere über Aleppo. Jene in der Richtung auf Mosul, diese in der Richtung nach Deir-es-Sor. Die Behörden sagen, sie sollen dort angesiedelt werden, aber, was dem Messer entgeht, wird zweifellos verhungern. In Deir-es-Sor am Euphrat sind von den Transporten etwa 10 000 angelangt. Von den übrigen hat man bisher keine Nachricht. Von

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/179&oldid=- (Version vom 31.7.2018)