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erholen. Bedenken Sie,“ fuhr er fort, „das Volk der Türken zählt 40 Millionen. Wenn sie erst in einem Reich zusammengefaßt sind, so werden wir in Asien dieselbe Bedeutung haben, wie Deutschland in Europa.“

Die bevölkerungsstatistische Phantasie des Kriegsministers sprang auf die Heeresstärke der türkischen Armee über. Auch hierbei sparte er nicht mit Millionen.

Ich hatte einen Mann vor mir, der, da er keine Größe besaß, aller Voraussicht nach an seiner knabenhaften Phantasie und seinem maßlosen Selbstbewußtsein Schiffbruch leiden mußte. Das rein türkische Volkselement in Anatolien beträgt wahrscheinlich nicht mehr als fünf, höchstens sechs Millionen, von denen, wie man annimmt, etwa eine Million durch Kriegs- und Seuchenverluste abzubuchen sein wird. Man muß schon weit über Nordpersien, Trans- und Ciskaukasien, Turkestan nach Kaschgar greifen, um auch nur 20 Millionen bestenfalls halbzivilisierter Türkvölker zusammen zu bringen. Die dachte Enver eines Tages zu beherrschen, und mit ihnen der ganzen Welt die Stirn zu bieten.

Ich lenkte auf die Dinge, die mir näher lagen, zurück. Ich machte geltend, daß die Massen der Deportierten zum größten Teil aus Frauen und Kindern bestünden, die dem Untergange preisgegeben sein würden, wenn nicht eine Organisation geschaffen würde, um ihre Ernährung, Unterbringung und vorläufige Ansiedelung an den Verschickungszielen zu ermöglichen. „Nach den Erfahrungen,“ sagte ich, „die man mit Tscherkessenansiedlungen gemacht hat, sind die Behörden im Innern wenig befähigt zu solchen Aufgaben; es fehlt ihnen an Organisationsgabe, an brauchbaren Organen und jetzt während des Krieges, selbst wenn sie den Willen dazu hätten, an Zeit und Geld, um eine so schwierige Aufgabe durchzuführen. Der Untergang von vielen Tausenden von Frauen und Kindern kann ja nicht Ihre Absicht sein.“ Enver ging leicht über diese Bedenken hin, sagte, es würde für alles gesorgt werden, aber wenn ich ihm Vorschläge zu machen hätte, sollte ich sie ihm schreiben, er würde sie gern

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite XV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)