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zwischen diesen beiden Ländern benutzen, um seine nationale Eigenart zu schützen, die durch ein völliges Aufgehen in Rußland gefährdet wäre. Keine Nation ist so sehr an der Existenz der Türkei interessiert als die armenische. Denn nur im Zusammenhang mit einem größeren Staatswesen vermöchte sie wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung zu erlangen, vorausgesetzt, daß ihr normale Existenzbedingungen gegeben würden. Die Armenier selbst müßten eine Türkei schaffen, wenn sie nicht existierte, um an ihr einen Rückhalt gegen die russische Expansion zu haben.11)

Der Beweis, daß dieses Programm und die daraus folgende loyale Haltung gegenüber der jungtürkischen Regierung bis zu dem Tage der völlig unerwarteten Verhaftung und Verschickung ihrer Führer die strenge Richtlinie aller Absichten und Maßnahmen der Daschnakzagan gewesen und geblieben ist, kann lückenlos erbracht werden.

Zu dem Kongreß in Erzerum stellten sich auch zwei Mitglieder des jungtürkischen Zentralkomitees ein, Omer Nadji und Dr. Behaeddin Schakir, die mit den Führern der Daschnakzagan über die Mitwirkung der Armenier bei dem kommenden Kriege gegen Rußland verhandelten. Sie regten an, ob man nicht die Kaukasusarmenier gegen Rußland revolutionieren könne, wie man ein gleiches mit den Georgiern und Tataren des Kaukasus vorhatte. Die Daschnakzagan erklärten dies für nicht wohl möglich. Nach den Verfolgungen der Jahre 1903 bis 1905, bei denen der Statthalter des Kaukasus regelrechte Massakers unter den Armeniern durch die Tataren hatte veranstalten lassen, war mit der Übernahme der Statthalterschaft durch Fürst Woronzoff Daschkoff ein völliger Wechsel des bisherigen Systems eingetreten. Die über die Armenier verhängten Maßregeln, Entziehung ihres Kirchen- und Schulvermögens,


[Ξ] 11)

Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/213&oldid=- (Version vom 31.7.2018)