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Dr. Heiranian ungünstig ausgefallen wäre, und daß Enver Pascha bedaure, meinen Wunsch nicht zu erfüllen zu können. Dr. Heiranian ist, wie man annimmt, im Gefängnis ermordet worden. Man hat nichts mehr von ihm gehört.

Nach der Unterredung mit Enver Pascha mußte ich den Gedanken aufgeben, auf eine Änderung des Schicksals der Armenier irgend einen direkten Einfluß gewinnen zu können. Was im Bereich der Möglichkeiten lag, um ihr Los zu mildern, geschah durch die deutsche und amerikanische Botschaft. Andere Instanzen, auf die die Pforte hätte Rücksicht nehmen müssen, gab es nicht. Auch die Stimme des Papstes verhallte ungehört. Was mir zu tun übrig blieb, war, meine Informationen noch möglichst zu vervollständigen, um die öffentliche Meinung in Deutschland, wo die Presse nur die verlogenen türkischen Communiqués wiedergab, wenigstens in den Grenzen, die unter der Zensur möglich waren, aufzuklären. Nachdem ich alle mir zugänglichen Quellen in Konstantinopel erschöpft hatte, war kein Grund vorhanden, meinen Aufenthalt länger auszudehnen. Schon in den ersten Tagen des August war mir auf der Botschaft mitgeteilt worden, daß Herr Chatschadurian wegen des Verkehrs mit mir von der türkischen Polizei verhaftet worden sei. Das schien mir unglaubhaft, da ich bei meinem allerdings häufigen Zusammentreffen mit ihm immer die größte Vorsicht beobachtet hatte. Nach zwei Stunden konnte ich der Botschaft mitteilen, daß ich eben mit dem angeblich Verhafteten gesprochen hatte und daß er von niemand behelligt worden war.

Es waren keine angenehmen Wochen, die ich am Goldenen Horn verlebte. Die Stimmung unter der türkischen Bevölkerung war keineswegs deutschfreundlich. Der jungtürkische Chauvinismus machte keinen Hehl daraus, daß man eines Tages mit allen „Fremden“, zu denen man nicht in letzter Linie auch die Deutschen rechnete, reinen Tisch machen würde. Eine Polizeiverordnung hatte die Absicht schon zum symbolischen Ausdruck gebracht, als alle nichttürkischen

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite XIX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)