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verlangt werde. Alle Versprechungen, die die Pforte Deutschland gemacht hätte, würden, sobald die Türkei unversehrt aus dem Kriege hervorgegangen sei, vergessen sein, und das jungtürkische Komitee, das in der Mehrzahl noch ebenso ententefreundlich sei, wie früher, werde die alte Taktik, alle europäischen Mächte gegen einander auszuspielen, wieder aufnehmen. Im übrigen sei der wirtschaftliche Zusammenbruch der Türkei nicht mehr aufzuhalten, da die Mitglieder des jungtürkischen Komitees nur von dem einen Gedanken beseelt seien, die Kriegszeit in der schamlosesten Weise zu ihrer eignen Bereicherung auszubeuten. Durch die Vernichtung der Armenier sei das Wirtschaftsleben von Anatolien vernichtet und den Griechen würde es zuletzt nicht besser gehen. Das war das Urteil aller Deutschen, die ich sprach. Die Ereignisse haben diesen trüben Prophezeiungen Recht gegeben. Die einzige Rettung, nicht nur der christlichen sondern auch der muhammedanischen Bevölkerung vor der Abenteurerpolitik des jungtürkischen Komitees war der Zusammenbruch der Türkei.

Als ich nach Sofia zurückkehrte, waren im Bureau der Daschnakzagan wieder viele böse Nachrichten eingegangen. Ich ließ mir die ganze Korrespondenz seit dem Beginn der Verfolgungszeit mündlich übersetzen und machte mir Aufzeichnungen, die ich in meinem „Bericht“ verwertet habe.

Als ich nach Deutschland zurückkehrte, überzeugte ich mich, daß man sich im Auswärtigen Amt über den Charakter und die Tragweite der Vernichtungsmaßregeln gegen die Armenier keinen Illusionen hingab. Mein Verlangen, daß Deutschland auf die türkische Regierung einen stärkeren Druck ausüben und die Zügel straffer anziehen müsse, wurde als unmöglich hingestellt, wenn wir das Bündnis nicht aufgeben wollten. Man habe es an Protesten und Vorstellungen nicht fehlen lassen, aber die jungtürkischen Machthaber seien für jede Mahnung und Warnung unzugänglich. Dem Unterstaatssekretär Zimmermann sagte ich: „Wenn Sie nicht den bestimmenden Einfluß auf die innere Politik der

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite XXI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)