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Die genannten Zahlen sind interessant. 235 Konstantinopeler Intellektuelle waren bereits in der Nacht vom 24. auf den 25. April verhaftet worden. Die 300 bis 400, die ihnen folgten, werden nicht erwähnt. Auch ist es unrichtig, daß die Konstantinopeler Intellektuellen „der Mitschuld an einer aufständischen Bewegung bezichtigt worden seien“. Unter vier Augen gestand man, „daß man keinen bestimmten Verdacht habe, und daß es sich nur um eine Vorsichtsmaßregel handle“.14) Auch nachträglich wurden keine Beweise revolutionärer Absichten oder Handlungen beigebracht. Die Zahl der Armenier in Konstantinopel wird gewöhnlich auf ca. 150 000 Gregorianer, 10 000 Katholiken und 1000 Protestanten angegeben. Dies entspricht einer älteren Statistik des armenischen Patriarchates. Neuerdings wurde die Zahl der Armenier von Konstantinopel auf mindestens 180 000 eingeschätzt. Die Zahl von 77 835 scheint also bereits mit einem Abgang von 100 000 Armenier gerechnet zu haben. Sollte damit vorweggenommen werden, daß nach der Durchführung der Maßregeln nur noch so viel Armenier in Konstantinopel übrig bleiben würden? Oder handelt es sich nur um ein in der türkischen Statistik übliches Verfahren, die Zahl der den christlichen Nationalitäten angehörigen Untertanen etwa um die Hälfte zu reduzieren und die muhammedanische Bevölkerung dementsprechend zu erhöhen?

Die übrigen Ausführungen des Communiqués, die gegenüber den unmenschlichen Grausamkeiten, die sich seinerzeit Engländer, Franzosen und Russen in Ägypten, Indien, Marokko und im Kaukasus hätten zuschulden kommen lassen, die Humanität der Türkei ins hellste Licht rücken, können wir auf sich beruhen lassen. Uns interessiert daran nur, daß die türkische Regierung versichert, daß sie „die Abwehrmaßregeln, zu denen sie sich genötigt sah, mit der größten Mäßigung und Gerechtigkeit angewandt“ habe.


[Ξ] 14)

Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/243&oldid=- (Version vom 31.7.2018)