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gefährdet würde. Die Türkei sei dazu bestimmt, auf beiden Kontinenten eine große Rolle zu spielen, wenn es den Muhammedanern gelänge, das fremde Joch abzuschütteln. Ebendies werde von Großbritannien, Rußland und Frankreich befürchtet. Zu großes Vertrauen dürfe man auch auf die Mächte des Dreibundes nicht setzen, doch sollte die Türkei freundliche Beziehungen mit ihnen unterhalten, jedenfalls aber ihre Neutralität wahren und von einem förmlichen Bündnis absehen. Zugleich müsse man den Versuch machen, die Sympathien der Ententemächte wiederzugewinnen.

Die auswärtige Politik war also genau wie die Abdul Hamids auf die Bilanzierung der Mächte eingestellt. Gleichwohl gelang es Enver Pascha, den inzwischen allmächtig gewordenen Minister des Innern Talaat Bey und den Kammerpräsidenten Halil Bey für den Eintritt in den Weltkrieg an der Seite Deutschlands zu gewinnen, trotzdem einflußreiche Mitglieder des Komitees wie Djemal Bey, Djavid Bey und der Scheich ül Islam dagegen waren. Die türkische Gesellschaft von Konstantinopel, deren Sympathien Frankreich gehörten, war ebenso, wie die Masse des Volkes, mit dem Eintritt in den Krieg unzufrieden, aber die panislamische Propaganda und die Militärdiktatur sorgten dafür, daß der Widerspruch verstummte. Die Proklamation des „heiligen Krieges“ brachte eine allgemeine Aufstachelung der muhammedanischen gegen die christlichen Elemente des Reiches mit sich, und die christlichen Nationalitäten hatten bald zu der Befürchtung Grund, daß sich der türkische Chauvinismus auch des muhammedanischen Fanatismus bedienen würde, um den Krieg bei der Masse des muhammedanischen Volkes beliebt zu machen.

Die Verschärfung des jungtürkischen Programms kam besonders darin zum Ausdruck, daß der Nachdruck weniger

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/259&oldid=- (Version vom 16.5.2018)