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aber statt dem Anschlag vorzubeugen, ließ er die Revolutionäre gewähren und bereitete als Antwort auf die im übrigen unschädlich verlaufene Demonstration in aller Stille ein Massaker der Armenier von Konstantinopel vor, das dann unter den Augen der Botschafter der Großmächte vor sich ging. Nach dem offiziellen Bericht für den Palast zählten die Opfer 8750 Ermordete, nach dem Botschafterbericht 5-6000.

Ebenso unrichtig ist die Behauptung des Albanesen, „daß England die armenische Frage aus dem Nichts künstlich hervorgerufen habe zur Zeit, als der britische Einfluß in der Türkei stark gesunken war und das Ansehen Deutschlands zu steigen begann“. Die armenische Frage datiert vom Jahre 1878, aus der Zeit nach dem Russisch-Türkischen Kriege. Die deutsche Orientpolitik setzt 20 Jahre später ein. Wenn jemand die armenische Frage „geschaffen“ hat, so ist es nicht England, sondern Rußland, das in dem Vertrag von San Stefano den § 16 aufnahm, der die Grundlage des § 61 des Berliner Vertrages bildet. Nicht England allein, sondern alle sechs Großmächte, Deutschland eingeschlossen, haben sich als Unterzeichner des Berliner Vertrages für das Schicksal des armenischen Volkes verantwortlich gemacht. Ihre löbliche Absicht ging nach dem Buchstaben des Vertrages dahin, den Armeniern Schutz des Lebens und Eigentums gegen Kurden und Tscherkessen zu verbürgen. Bald genug wurde die armenische Frage ein Spiel der internationalen Diplomatie, die durch den Gegensatz der russischen und englischen Interessen in der Türkei bestimmt war. Als in den Jahren 1893-95 das armenische Reformprogramm entsprechend den Verpflichtungen des Berliner Vertrages von den Botschaftern Englands, Frankreichs und Rußlands unterschrieben und von Abdul Hamid unterzeichnet war, untersiegelte Abdul Hamid den Reformplan mit dem Blut von 100 000 Armeniern. Die jungtürkische Regierung ist seinem Beispiel gefolgt. Sie hat die russisch-deutschen Reformverhandlungen vom Jahre

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/314&oldid=- (Version vom 31.7.2018)