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Das hundertmal ausgesprochene Motiv der revolutionären Gruppen, die vor der Einführung der Konstitution Hand in Hand mit den Jungtürken am Sturz des absolutistischen Regimes arbeiteten, war die Durchsetzung des von den Großmächten im Berliner Vertrage gegebenen Reformversprechens. Nach Einführung der Konstitution verwandelte sich die früher revolutionäre Partei der Daschnakzagan, die einzige, die für das armenische Volk eine Bedeutung hat, in eine konstitutionelle Vertretung der Nation. Den russisch-deutschen Reformverhandlungen von 1913 lag das von den Daschnakzagan ausgearbeitete Programm zugrunde. Boghos Nubar Pascha, den Bratter „einen der Haupträdelsführer der revolutionären Armenier“ nennt, hat sich bei den Kabinetten von Berlin, Paris, London und Petersburg um nichts anderes als um die Durchsetzung des Reformprogrammes bemüht, eben in derjenigen Form, die von Deutschland der Pforte empfohlen und am 8. Februar 1914 von der Pforte angenommen wurde.

„Die zahlreichen armenischen Aufstände der letzten 25 Jahre“ (Seite 23) sind eine freie Erfindung von Herrn Bratter, und darum ist die Formel („der unheilvolle Kreislauf: Aufstände der Armenier, – Unterdrückung der Empörung, – Strenge Bestrafung der Rädelsführer, – Raub- und Mordzüge der Kurden, – Ermordung Unschuldiger und dadurch hervorgerufene neue Aufstandsbewegung“), auf die Bratter die armenische Frage bringt, unbrauchbar.

Niemand, weder die Hintschakisten, noch die Daschnakzagan, noch die amerikanischen Missionare, noch europäische Diplomaten, noch Boghos Nubar Pascha haben je von einem „selbständigen Königreich Armenien“ geredet oder geträumt, sondern, wie die geschichtlichen Dokumente von 35 Jahren beweisen, niemals etwas anderes als Reformen erstrebt und befürwortet, die den Armeniern das Mindestmaß bürgerlicher Rechte und Freiheiten sichern

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/326&oldid=- (Version vom 31.7.2018)