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sollten, das für jeden europäischen Staatsbürger selbstverständlich ist. Daß für Rußland ein „Königreich Armenien“ völlig undenkbar ist, braucht nicht erst gesagt zu werden. Alle armenischen Politiker haben die Erhaltung der Souveränität der Türkei als eine Lebensfrage für das armenische Volkstum angesehen, ja selbst heute noch, nach der Vernichtung des halben Volkes und der völligen Ausplünderung der Überlebenden, lehnen russische und türkische Armenier eine Annexion durch Rußland ab und verlangen lediglich die Erhaltung und Wiederherstellung ihres Volkstums in einer nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Freiheit reorganisierten Türkei.27)

Herr Bratter kommt noch besonders auf die katholischen Armenier zu sprechen, deren Streitigkeiten mit den gregorianischen Armeniern er eine völlig überflüssige[1] Ausführung widmet, denn diese betreffen nicht das Schicksal der jetzigen armenischen Katholiken, die das Los ihrer gregorianischen und protestantischen Brüder geteilt haben.[2] Nicht den lebenden katholischen Armeniern wendet er sein Mitleid zu, wie es der Papst bei seiner letzten Kundgebung für den Weltfrieden und durch energische Schritte bei der Hohen Pforte getan hat, sondern 12 000 längst verstorbenen katholischen Armeniern, die im Jahre 1828 aus der Umgebung von Angora gezwungen wurden, nach Angora zurückzukehren.


[Ξ] 27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.


  1. Überflüssig ist es auch, daß Bratter eine angebliche Beschimpfung des römischen Papstes durch einen armenischen Patriarchen aus dem Jahre 1828 der Vergessenheit entreißt. (Seite 25.)
  2. Die für die „armenische Frage“ völlig belanglosen konfessionellen Streitigkeiten zwischen den gregorianischen und den mit Rom unirten katholischen Armeniern „eine gegenseitige Zerfleischung“ der Nation zu nennen ist sinnlos. Die Gregorianer zählen insgesammt rund 3 800 000, die katholischen Armenier 140 000, die prostetantischen 60000; also Gregorianer 95 %, Katholiken 3½ %, Protestanten l½ %. Auch von katholischer Seite wurde eine Eingabe an den Reichskanzler wegen der Vernichtung ihrer armenischen Glaubensbrüder gerichtet.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/327&oldid=- (Version vom 31.7.2018)