Seite:Der Todesgang des armenischen Volkes.pdf/80

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der im Lazarett diensttuenden Armenier mußten fort, sogar, trotz des Protestes des deutschen Arztes Dr. Neukirch, eine typhuskranke Frau. Ein im Lazarett diensttuender Armenier sagte zu der deutschen Krankenschwester, „Nun bin ich 46 Jahre alt, und bin doch, trotzdem jedes Jahr Freilassungsgeld für mich gezahlt worden ist, eingezogen worden. Ich habe nie etwas gegen die Regierung getan, und jetzt nimmt man mir meine ganze Familie, meine 70-jährige kummergebeugte Mutter, meine Frau und 5 Kinder; ich weiß nicht, wohin sie gehen.“ Er jammerte besonders um sein 1½ jähriges Töchterchen. „So ein schönes Kind hast du nie gesehen, es hatte Augen wie Teller so groß. Wenn ich nur könnte, wie eine Schlange wollte ich ihr auf dem Bauche nachkriechen.“ Dabei weinte er wie ein Kind. Am anderen Tage kam derselbe Mann ganz ruhig und sagte: „Jetzt weiß ich es, sie sind alle tot.“ Es war nur zu wahr.

Die Karawanen, die am 8., 9. und 10. Juni Erzingjan in scheinbarer Ordnung verließen (die Kinder vielfach auf Ochsenwagen untergebracht), wurden von Militär begleitet. Trotzdem sollte nur ein Bruchteil das nächste Reiseziel erreichen. Die Straße nach Kharput verläßt die Ebene von Erzingjan östlich der Stadt, um in das Defilé des Euphrat, der hier die Tauruskette durchbricht, einzutreten. In vielen Windungen folgt die Straße, zwischen steilen Bergwänden am Strom entlang laufend, dem Euphrat. Die Strecke bis Kemach, die in der Luftlinie nur 16 Kilometer beträgt, verlängert sich durch die Windungen auf 55 Kilometer. In den Engpässen der Straße wurden die zwischen Militär und herbeigerufenen Kurden eingekeilten wehrlosen Scharen, fast nur Frauen und Kinder, überfallen. Zuerst wurden sie völlig ausgeplündert, dann in der scheußlichsten Weise abgeschlachtet und die Leichen in den Fluß geworfen. Zu Tausenden zählten die Opfer bei diesem Massaker im Kemachtal, nur zwölf Stunden von der Garnisonstadt Erzingjan, dem Sitz eines Mutessarifs (Regierungspräsidenten)

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/80&oldid=- (Version vom 31.7.2018)