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Freunde, Herrn Apotheker Gehlsen, vor unserem Hause auf und ab. Da begegnete uns ein Gendarm, der uns erzählte, daß kaum zehn Minuten oberhalb des Hospitals eine Schar Frauen und Kinder aus der Baiburtgegend übernachtete. Er hatte sie selber treiben helfen und erzählte in erschütternder Weise, wie es den Deportierten auf dem ganzen Wege ergangen sei. Kessé, Kessé sürüjorlar! (Schlachtend, schlachtend treibt man sie!) Jeden Tag, erzählte er, habe er zehn bis zwölf Männer getötet und in die Schluchten geworfen. Wenn die Kinder schrien und nicht mitkommen konnten, habe man ihnen die Schädel eingeschlagen. Den Frauen hätte man alles abgenommen und sie bei jedem neuen Dorf aufs neue geschändet. „Ich selber habe drei nackte Frauenleichen begraben lassen“, schloß er seinen Bericht, „Gott möge es mir zurechnen.“ Am folgenden Morgen in aller Frühe hörten wir, wie die Totgeweihten vorüberzogen. Wir und Herr Gehlsen schlossen uns ihnen an und begleiteten sie eine Stunde weit bis zur Stadt. Der Jammer war unbeschreiblich. Es war eine große Schar. Nur zwei bis drei Männer, sonst alles Frauen und Kinder. Von den Frauen waren einige wahnsinnig geworden. Viele schrien: „Rettet uns, wir wollen Moslems werden, oder Deutsche, oder was ihr wollt, nur rettet uns. Jetzt bringen sie uns nach Kemach und schneiden uns die Hälse ab.“ Dabei machten sie eine bezeichnende Geberde. Andere trabten stumpf und teilnahmslos daher, mit ihren paar Habseligkeiten auf dem Rücken und ihren Kindern an der Hand. Andre wieder flehten uns an, ihre Kinder zu retten. Als wir uns der Stadt näherten, kamen viele Türken geritten und holten sich Kinder oder junge Mädchen. Am Eingang der Stadt, wo auch die deutschen Ärzte ihr Haus haben, machte die Schar einen Augenblick halt, ehe sie den Weg nach Kemach einschlug. Hier war es der reine Sklavenmarkt, nur daß nichts gezahlt wurde. Die Mütter schienen die Kinder gutwillig herzugeben, und Widerstand hätte nichts genützt.“

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/86&oldid=- (Version vom 31.7.2018)