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waren geflohen. Der Mann selber hatte eine furchtbare Wunde im Nacken. Er war ohnmächtig geworden. Nach dem Erwachen gelang es ihm, den zwei Tage weiten Weg nach Siwas zu machen. Möge er ein Bild seines Volkes sein, daß es die ihm jetzt geschlagene tödliche Wunde verwinden könne!

Eine Nacht verbrachten wir im Regierungsgebäude zu Zara. Dort saß ein Gendarm vor der Tür und sang unausgesetzt: „Ermenileri hep kesdiler“ (Die Armenier sind alle abgeschlachtet). Am Telephon im Nebenraum unterhielt man sich über die noch Einzufangenden. Einmal übernachteten wir in einem Hause, wo die Frauen gerade die Nachricht vom Tode ihrer Männer erhalten hatten und die Nacht hindurch wehklagten. Der Gendarm sagte: „Dies Geschrei belästigt euch! Ich will hingehen und es ihnen verbieten.“ Glücklicherweise konnten wir ihn daran verhindern. Wir versuchten es, mit den Ärmsten zu reden, aber sie waren ganz außer sich: „Was ist das für ein König, der so etwas zuläßt? Euer Kaiser muß doch helfen können. Warum tut er es nicht?“ usw. Andere waren von Todesangst gequält. „Alles, alles mögen sie uns nehmen bis aufs Hemd, nur das nackte Leben lassen.“ Das mußten wir immer wieder mit anhören und konnten nichts tun, als auf den hinweisen, der den Tod überwunden hat.“


3. Wilajet Siwas.


Das Wilajet Siwas zählte unter 1 086 500 Bewohnern 271 500 Christen, nämlich 170 500 Armenier, 76 000 Griechen und 25 000 Syrer. Die muhammedanische Bevölkerung besteht zu ⅔ aus sunnitischen Türken, Turkmenen und Tscherkessen, zu ⅓ aus schiitischen Kisilbasch.

Vor der allgemeinen Deportation waren im Wilajet Siwas die Zustände die gleichen, wie in den Wilajets Trapezunt und Erzerum. Organisierte Banden plünderten die Dörfer. Die Gendarmen drangen unter dem Vorwande,

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/89&oldid=- (Version vom 31.7.2018)