Seite:Der Todtentanz St. Michael 003.jpg

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noch in den Jahrbüchern der Stadt genannt; jedoch ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß wir den mit hohem Sinne für gemeinnützige Zwecke ausgestatteten Maler, Bildhauer und Architekten Wenzinger, einen äußerst talentvollen Künstler, als Schöpfer unserer Bildwerke ansehen dürfen. Sicherlich hat er das Kunstwerk um Gottes Lohn vollführt, denn nirgends sind unter den noch vorhandenen Baurechnungen der Kapelle die Kosten für die Herstellung des Todtentanzes berechnet.

Wenzinger wurde zu Ehrenstetten am 10. Dezember 1710 geboren und starb am 1. Juli 1797 als Stadtrath in sehr wohlhabenden Verhältnissen, die im erlaubten aus seiner Hinterlassenschaft für die Einrichtung des Krankenspitals eine zu jener Zeit ganz gewaltige Summe Geldes zu stiften. Sein Hauptwerk ist das jetzt noch im Haus zum „Schönen Eck“ am Münsterplatz [1] erhaltene ungewöhnlich edel gedachte und ebenso edel ausgeführte Treppenhaus mit Deckengemälde, das von großer Begabung Zeugniß giebt. Sowohl in zeitlicher als in künstlicher Hinsicht würde es stimmen, wenn wir Wenzinger als den Schöpfer unseres Todtentanzes annehmen.

Im Jahr 1856 wurde Letzterer durch den Maler Dominik Weber erneuert, der auf jeden Fall auch noch vieles von seinen eigenen Gedanken hineingelegt hat; so. z. B. verwendete er, wie uns auf das bestimmteste versichert wurde, bei einer der weiblichen Figuren (Blatt 7) den Porträtkopf einer damals lebenden, allbekannten und etwas extravaganten, jungen Dame aus einer der vornehmsten Familien der Stadt.

Betrachten wir die einzelnen Bilder des Cyclus für sich und in ihrem Zusammenhange unter einander, so bildet sich ungefähr nachstehende Gedankenfolge: Die Blätter 1-7 umfassen die menschlichen Lebensalter, schließen aber mit dem Mannesalter und dem Ehestand ab. Dann folgen die gesellschaftlichen Unterschiede und Stände des Menschen, der reiche und vornehme Adelige, der arme und geringe Bettler, der wohlhabende Bürger, der Geistliche und endlich als breiteste Grundlage aller menschlichen Gesellschaft der Bauer, von dem die anderen alle leben.


  1. Münsterplatz 30.
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Adolf Poinsignon: Der Todtentanz. Herder'sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg 1891, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todtentanz_St._Michael_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)