Seite:Der Todtentanz St. Michael 004.jpg

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Auf den ersten Bilde spielt der Tod dem Kind zum ewigen Schlaf das Wiegenlied, aus dem es nimmermehr erwachen wird.

Auf dem zweiten führt er des Knaben Hand zum Lernen in die Kunst des Schreibens ein; jedoch die Feder ist kein Kiel, sondern ein Todespfeil, und wenn wir der Zahl der Buchstaben eine Bedeutung beimessen wollen, so wird der Schüler das 13. Lebensjahr nicht überschreiten – ohnehin schon eine ominöse Zahl – denn er kömmt nur bis zum „n“, dem 13. Buchstaben des A b c.

Im dritten Bild ist das Mädchen eben daran, eine nützliche Handarbeit, das Spitzenklöppeln oder etwas dergleichen anzufangen; vorher aber noch möchte dasselbe sich einige Blumen in’s Haar stecken und will sich am würzigen Wohlgeruch derselben laben; da erscheint der Tod von rückwärts und faßt das Mädchen beim Zopfe.

Auf Blatt „vier“ haben wir den herangewachsenen wohlgebildeten Jüngling, der im Bewußtsein seiner Vollkraft, im Uebermuth „Tod und Teufel“ nicht fürchtet. Offenbar ist er ein Lebemann und hat schon manches Duell glücklich bestanden. Aber der Tod, linkshändig, ist ein geschickterer Fechter als er, obwohl er als Handwaffe nur seinen Pfeil führt; mit der Spitze des Pfeiles faßt er des Gegners Degenspitze, entwaffnet den Gegner und durchbohrt ihm das Herz, ohne auch nur den Ausfall zu machen, wie dies sonst die Regel der Fechtkunst verlangt.

Als Gegenstück zu Nr. 4 finden wir in Nr. 5 die herangewachsene junge Dame an ihrem Toilettentische sitzend, um nach der Sitte jener Zeit ihre Haare zu pudern und sich zu schminken; sie ist ganz in der Betrachtung eines Ringes oder Armbandes versunken, vielleicht ein Geschenk des Bräutigams oder eines stillen Verehrers. Aber vergeblich gedenkt sie sich für den Geliebten zu schmücken; schon steht hinter ihr der Tod, der in der linken Hand eine Schüssel geweihter Asche hält und mit der rechten einen Theil davon durch die Knochenhand auf das todtgeweihte Haupt rinnen läßt. Mit bitterer Ironie spielt der Tod die Rolle des Friseurs. Der Porträtrahmen über dem Toilettentisch trägt in den oberen Ornamenten das badische Wappen. Sollte hierin wohl irgend eine Beziehung zu der damals in Freiburg lebenden

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Poinsignon: Der Todtentanz. Herder'sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg 1891, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todtentanz_St._Michael_004.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)