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war, so herrschte eine undurchdringliche Finsternis und es wäre unmöglich gewesen, unsern Weg zu finden, wenn die immer häufiger werdenden Blitze nicht Licht geschafft hätten. Wir hofften, unbemerkt an dem Schoner vorbeikommen zu können, das aber wurde mit jeder Sekunde mehr in Frage gestellt. Erstens verbreiteten die Blitze auf Momente Tageshelle, zweitens hatte der Wind sich völlig gelegt, kein Blatt regte sich, kein Insekt ließ sich hören, und in dieser Totenstille war das leiseste Geräusch, das unser Kanu oder unsre Paddel im Wasser verursachten, weithin vernehmbar; drittens, und das war das Gefährlichste, leuchtete das Wasser stark phosphorisch. Die rippelnden Bugwellchen, die durch das Paddeln bewirkten schwachen Wirbel, das Kielwasser – alles leuchtete in blendend hellem, grünlichem Silberlicht und mußte die Aufmerksamkeit der auf dem Schoner Wache haltenden Leute erregen.

Wir beobachteten die äußerste Vorsicht und hielten uns so dicht als möglich am Ufer und im Schatten der überhängenden Mangroven.

Plötzlich fesselte ein leises Plätschern im Schlamm des Gestades meine Aufmerksamkeit. Eine bleiche, wirbelnde Feuerwolke löste sich von dem Wurzelgewirr ab und unter ihr zeigte sich ein seltsamer Fleck hellen Phosphorlichtes, der schnell auf uns zukam. Nach wenigen Sekunden befand er sich unmittelbar unterhalb des Kanus, mit dem er nun gleichen Schritt hielt. Schaudernd erkannte ich jetzt in ihm ein Krokodil, das so lang war, wie das Fahrzeug. Es leuchtete wie ein Stück Mond, ich sah jede seiner Bewegungen, ich sah auch seine aufwärts gerichteten unheimlichen Augen, die keinen Blick von uns verwendeten.

„Sehen Sie das Untier, Herr Leutnant?“ fragte ich flüsternd.

„Ich sehe es,“ murmelte der zurück. „Hoffentlich besinnt sich das Biest nicht darauf, daß es uns mit einem einzigen Schlage seines Schwanzes umschmeißen kann. – – Oha – das war ein Blitz!“

Ja, das war ein Blitz! Das ganze Himmelsgewölbe hatte sich in eine einzige grelle Flamme verwandelt, unsre Umgebungen schnellten

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/112&oldid=- (Version vom 31.7.2018)