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um hinter mich oder vielmehr unter mich zu schauen. Was ich da sah, werde ich nie vergessen.

Das Schiff lag flach auf der Seite. Die unteren Enden der Rahen waren tief im Wasser begraben, ebenso die ganze Leeseite des Decks. Die Fluten ergossen sich in Strömen durch die Luken ins Innere, ich sah wie die Mannschaften, die die Wache zur Koje gehabt hatten, vergeblich versuchten, an Deck zu gelangen; der Wassersturz riß sie immer wieder zurück. Die Mannschaften der Wache an Deck schwammen teils leewärts in der See, teils klammerten sie sich an die Takelung.

Ich hatte diesen Anblick nur auf wenige Sekunden, dann kenterte das Schiff gänzlich und zwar so schnell, daß ich kaum Zeit behielt, über die schlüpfrige Wand bis auf den Boden zu kriechen. Als es völlig kieloben trieb, rang sich ein furchtbarer Schrei aus seinem Innern, vernehmbar selbst durch das donnernde Tosen des Sturmes und der See.

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Außer mir waren noch sechs Matrosen dem Tode entronnen. Wir hatten uns aus einigen treibenden Rundhölzern, Hühnerhocken und andern Wrackstücken ein Floß hergestellt und trieben nun einsam auf der unermeßlichen See – nur sieben Überlebende von den Hunderten, die die Besatzung der Korvette gebildet hatten.

Der Sturm hatte nicht lange gewährt, zehn Minuten nach dem Kentern des „Wolf“ hatte er sich in eine mäßige Brise verwandelt, die sich die „Black Queen“ zunutze machte. Sie mußte den Untergang des „Wolf“ wahrgenommen haben; sie hielt auf uns ab, und schon hegten wir die Hoffnung, von ihr aufgenommen zu werden; sie kam auch bis auf eine halbe Seemeile an uns heran, wir riefen und winkten, aber sie achtete nicht darauf, lief vorbei und war bald in Lee aus Sicht.

Die Nacht sank auf unser trauriges Häuflein nieder. Wir machten uns mit dem Gedanken vertraut, den langsamen Tod des Verhungerns

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/159&oldid=- (Version vom 31.7.2018)