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Schlinggewächsen durchwoben, die teils von den Wurzelbogen herabhingen, teils sich oben in den Baumkronen verloren.

Wir fuhren eine weite Strecke aufwärts, bis der Creek nur noch eine Breite von hundert Metern und eine Tiefe von sechs Fuß hatte. Hier hörte der Mangrovensumpf auf, die Ufer verwandelten sich in sanft abfallende Rasenböschungen, über welchen sich ein dichter Dschungelwald erhob, dessen Blattwerk buchstäblich alle Farben des Regenbogens zeigte. Grün in allen seinen Schattierungen war natürlich vorherrschend, von den zarten blassen Tinten der sprossenden Blättchen, bis zur dunklen, beinahe schwarzen Olivenfarbe. Da war Laub von rötlicher Bronze, abwechselnd mit Büscheln schwertförmiger, fein aschgrau getönter Blätter; andres Laub erglühte in brennendem Scharlach, noch andres war dicht mit kurzem, weißem, wie Atlas erschimmerndem Pelz bedeckt – ich finde keine andre Bezeichnung dafür –, und diese Blätter glänzten und blitzten im Sonnenlicht wie poliertes Silber. Viele der Bäume prangten in reichem Blütenschmuck, herrlich in Farbe und Form. Dazu sah man überall die Passionsblumen und andre blühende Lianenarten in so unendlicher Verschiedenheit, daß ein Botaniker sich hier im siebenten Himmel des Entzückens gewähnt hätte.

Auch war dieser Dschungelwald keineswegs unbewohnt, denn ab und zu hörten wir ein scharfes Knacken von Zweigen und Ästen in seinen Tiefen, neben andern geheimnisvolleren Lauten; gelegentlich sahen wir auch Affen in dem Gezweig der höheren Bäume, und Vögel von prachtvollem Gefieder huschten von einem Wipfel zum andern oder schossen blitzschnell über die Creek.

Wenngleich wir bereits weiter vorgedrungen waren, als ein Schiff, wenn auch von kleinstem Tonnengehalt, hätte gelangen können, so hatte uns der Zauber dieser wunderbaren Natur doch so bestrickt, daß wir langsam noch eine Seemeile weiter paddelten. Bald trat der Wald auf beiden Seiten bis unmittelbar an das Wasser heran, das hier nur noch hundert Fuß breit und vier Fuß tief war. Die Kronen der größeren Bäume neigten sich gegeneinander und schlossen bald das

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)