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Sonnenlicht fast vollständig aus; es herrschte nur noch ein grünes Zwielicht, an das unsre Augen sich erst gewöhnen mußten, ehe sie etwas zu unterscheiden vermochten.

Die Überwölbung wurde schließlich so dicht, daß wir auf eine Strecke von hundert Metern einen regelrechten Tunnel vor uns sahen. Als das Boot hier hineinglitt, hielten die Matrosen unwillkürlich mit Rojen inne, ließen das Fahrzeug treiben und blickten um sich, verloren in Staunen und Bewunderung.

Nachdem das Geräusch der Remen[ws 1] in den Dollen aufgehört hatte, trat eine Totenstille ein, die einen fast bedrückte; nichts war vernehmbar als das leise Plätschern des Wassers an den Bootsplanken und zwischen den Wurzeln der Bäume. Hier ließ sich kein Vogel sehen, nicht einmal ein Insekt, die Moskitos allerdings ausgenommen, die uns bald in großen Mengen zu umschwärmen begannen. Aber das Bild, das uns die lange Flucht des Laubgewölbes darbot, war zauberhaft schön. Tiefe, beinahe schwarze Schatten, Schlinggewächse, mit bunten Blüten überladen, grünliche Lichtstrahlen, die durch unsichtbare Öffnungen des Gewölbes hereinschossen und hier ein Blütenbündel und dort ein Büschel federförmiger Wassergewächse beleuchteten – es war über alle Beschreibung reizvoll.

Wir saßen in Schweigen versunken, als plötzlich ein knisterndes Geräusch, das über unserm Backbordbuge aus dem Dickicht kam, unsre Aufmerksamkeit fesselte. Das Boot, das bis jetzt noch einigen Antrieb gehabt hatte, war zum Stillstand gekommen, die Matrosen waren im Begriff, wieder die Remen zu ergreifen, wurden jedoch durch Mr. Austins schnell erhobene Hand daran verhindert.

Das Knistern und Knacken wiederholte sich in kurzen Zwischenräumen und dann trat plötzlich, ohne ein Blatt zu bewegen, etwa zwanzig Meter vor uns eine prachtvolle Antilope aus dem Ufergebüsch und schritt langsam ins Wasser. Da erspähte ihr scharfes Auge das Boot und die Menschen darin, und sogleich blieb sie unbeweglich stehen. Sie war ein schönes großes Tier, in den Schultern etwa so hoch wie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Riemen, Ruder.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)