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Glück hatte das sich selbst überlassene Fahrzeug sich vor den Wind gelegt, so daß die Flammen nach vorn wehten; aber das Kampanjedeck, auf dem wir lagen, wurde trotzdem bald so heiß, daß wir’s nicht mehr ertragen konnten. Wir fingen an, lebendig zu braten und mußten jeden Augenblick gewärtig sein, daß die Planken einbrachen und wir in die feurige Esse unter uns hinabstürzten.

Die körperlichen und geistigen Qualen trieben mich zur Verzweiflung; ich machte eine wütende Anstrengung und es gelang mir, mich auf die andre Seite zu wälzen. Hier gewahrte ich, daß die Hände eines Leidensgefährten kaum zwei Zoll von meinem Gesicht entfernt waren, hinter seinem Rücken gefesselt wie die meinen, und dicht dabei seine mit einer festen Leine umwundenen Knöchel.

Da schoß es mir durch den Kopf, zu versuchen, die Fesseln seiner Hände durchzunagen, gelang mir das, dann war er frei und imstande, seinerseits auch uns andere zu befreien. Ich schrie ihm zu, was ich beabsichtigte, und faßte die fesselnde Leine mit den Zähnen. Ich nagte, was ich nur nagen konnte, galt es doch das Leben. Als ich die hartgedrehte, geteerte Leine zwischen den Zähnen fühlte, da meinte ich, sie niemals durchbeißen zu können, oder wenigstens nicht frühzeitig genug, um uns zu retten. Aber man weiß nie, wessen man fähig ist, ehe man’s in bitterem Ernst versucht. Und es gelang mir – schon nach wenigen Minuten hatte ich einen Törn der Leine durchgebissen. Jetzt begann der Mann selber zu ziehen und zu reißen; bald war er frei und nun war es für ihn das Werk weniger Minuten, auch alle übrigen in Freiheit zu setzen.

Jetzt machten wir uns in größter Eile an den Bau des Flosses. Wir brachten nur ein jämmerliches, gebrechliches Ding zustande, aber wir hatten keine Zeit, ein besseres zu zimmern. Und da die Bark um diese Zeit von vorn bis achtern nur noch eine einzige Masse von Glut und Feuer war, so konnten wir auch kein Krümchen Proviant und keinen Tropfen Wasser mit uns auf das Floß nehmen.“

„Welch eine satanische Grausamkeit!“ rief ich, als Walker seine

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/32&oldid=- (Version vom 31.7.2018)