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Als tapferer Mann aber blieb er nicht lange im Zweifel; wenige Augenblicke reichten bei ihm hin, die Fortsetzung der Fahrt zu beschließen.

Das Insektengetön nahm schnell an Stärke zu, und es währte nicht lange, da hörten wir es auf beiden Seiten. Langfeld sah beim Schein der Kompaßlaterne nach der Uhr.

Zwanzig Minuten vor zwölf,“ flüsterte er mir zu, „wir sind in den Creek eingelaufen.“

Die Sklavenschiffe ankerten zwei Seemeilen aufwärts im Creek, das war uns bekannt; plötzlich stand die Gewißheit vor mir, daß ich mich nach Verlauf einer halben Stunde aller Wahrscheinlichkeit nach mitten in einem wilden Kampf auf Tod und Leben befinden würde. Bisher hatte ich seltsamerweise den Angriff auf die Sklavenräuber nur als eine entfernte Möglichkeit angesehen, jetzt aber stand er dicht bevor – Kampf und Blutvergießen.

War das eigentümliche Gefühl in mir etwa Furcht?

Noch niemals hatte ich Pulver gerochen, das in tödlichem Ernst verpufft worden war. Eine ganz neue Erfahrung stand mir bevor. Ich sollte Menschen gegenübertreten, die, wenn die Gelegenheit sich bot, mich ohne Zögern und ohne Bedenken erschießen, erstechen oder erschlagen würden. Nach Ablauf einer kurzen halben Stunde lag ich vielleicht sterbend oder bereits tot in meinem Blute.

Mein Herz begann heftig zu pochen, das Blut stieg mir zu Kopf und mir war, als müsse ich ersticken. Das währte etwa fünf Minuten, dann packte mich ein fieberhaftes, ungeduldiges Verlangen nach dem Moment der Entscheidung. Es schien mir eine Ewigkeit bis dahin. Ich wollte sofort beginnen, sofort das Schlimmste erfahren und zu Ende bringen.

Ich brauchte nicht mehr lange zu warten. Wir hatten ungefähr eine Seemeile in dem Creek zurückgelegt, da schlug eine tiefe rauhe Stimme an unser Ohr, die uns vom Ufer her etwas zubrüllte.

„Fastrojen!“ kommandierte Langfeld. Die Leute hielten die Remen in der Schwebe. „Was hat der Kerl gesagt?“ wandte er sich dann zu mir.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/64&oldid=- (Version vom 31.7.2018)