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unsre Freundin machten sich eilig davon, die letztere nicht ohne uns noch einige mitleidsvolle Blicke zuzuwerfen.

Vor dem Götzenbild oder Fetisch war inzwischen ein Feuer angezündet worden. Da die Schar der Neugierigen nicht mehr die Aussicht versperrte, sahen wir, wie die Hornbläser und Trommler und eine Menge andrer Männer langsam im Kreise um den Fetisch herumzogen. Die barbarische Musik lockte die Bewohner der Hütten heraus, die sich in Gruppen hinter und neben dem Götzen versammelten.

Jetzt erscholl ein markdurchbohrender kreischender Schrei und aus der offenen Tür des Tempels sprang in langen Sätzen ein Mann heraus, der von oben bis unten mit Affenfellen behängt war; als Gürtel wand sich eine lebendige Schlange um seinen Leib, auf dem Kopf trug er eine Federkrone und in der Hand einen rot und weiß bemalten Stab.

Bei seinem Erscheinen verstummte alles; er stimmte einen leisen eintönigen Gesang an und deutete dabei mit seinem Stab langsam auf jeden der Gefangenen, wobei er mit uns den Anfang machte.

„Freund Wetter,“ sagte Langfeld zu mir, „wenn Sie sich noch mit Ihrem Herrgott abzufinden haben, dann rate ich Ihnen, dies jetzt zu tun, solange Ihnen noch Zeit dazu bleibt, denn ich fürchte sehr, daß wir diese Nacht nicht überleben werden.“

Diese Worte erschreckten mich dermaßen, daß ich keine Erwiderung fand; meine Zunge war wie gelähmt, ich konnte meinen Unglücksgefährten nur entsetzt und ungläubig anstarren.

„Kam Ihnen das so überraschend?“ fuhr der Leutnant fort. „Dachten Sie etwa, jetzt noch entrinnen zu können? Damit ist’s aus. Fassen Sie sich. Sie haben Mut, das haben Sie gestern reichlich bewiesen. Ich bin überzeugt, daß Sie dem Tode in Gegenwart dieser Wilden ruhig und fest ins Auge schauen werden. Sie sind kein Knabe mehr, Sie sind ein Mann, ein deutscher Mann, vergessen Sie das nicht. Unsre Zeit ist um. Sehen Sie, dort kommt der Priester des scheußlichen Götzen – er wird sich das erste Opfer aussuchen. Sollten Sie die

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/77&oldid=- (Version vom 31.7.2018)