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Schrecken dieser Nacht wirklich überleben und in die Heimat zurückkommen, dann suchen Sie meine Mutter auf und sagen Sie ihr, daß ihr Sohn gestorben ist, wie sie es immer gewünscht hat, als ein gläubiger Christ. Ah, es scheint, als solle ich Nummer Eins sein. … Mut, Wetter, und Gott befohlen!“

Der Fetischpriester hatte seinen Gesang beendet und musterte nun in dem allgemeinen Schweigen noch einmal die Gefangenen. Endlich erhob er seinen Stab und richtete ihn auf Langfeld, was diesen bewog, sich als Nummer Eins zu bezeichnen.

Unter schlangenhaften Krümmungen und Windungen näherte der Kerl sich im Tanzschritt meinem Gefährten; zwei Schritt vor demselben blieb er stehen, den Stab gegen dessen Brust gerichtet. So stand er eine Weile unbeweglich, augenscheinlich in der Erwartung, den hilflosen Gefangenen in Angst und Furcht geraten zu sehen. Aber er irrte sich. Langfeld heftete seine Augen auf die des Feindes und sah ihn so fest, so ruhig, so überlegen und so verachtungsvoll an, daß der Fetischmann, empört über diesen Mißerfolg, einen Wutschrei ausstieß, den Stab senkte, um ihn dann auf mich zu richten.

Aber der große, stille Heldenmut, dessen Zeuge ich geworden war, die Bewunderung, die meine Seele erfüllte, hob mich hoch empor über jegliches Furchtgefühl, und so gelang es auch mir, dem finstern, blutdürstigen Blick des tückischen Priesters ebenso ruhig und kühl zu begegnen, wie mein Vorgesetzter es getan hatte.

Vielleicht eine Minute lang standen wir einander so gegenüber, dann senkte der Fetischmann den Stab, bedrohte mich mit einer wütenden Gebärde und wandte sich zu dem nächsten Gefangenen.

„Man läßt uns eine Galgenfrist,“ sagte Langfeld. „Man will uns nun die Martern der andern mit ansehen lassen, damit wir vorausfühlen, was unser wartet, und unser Mut dadurch erschüttert werde. Ich habe über die Sitten und Gebräuche der Kongoneger allerlei gelesen und glaube, daß dies ein Opferfest zur Abwendung von Unglück von dem Stamme sein soll. Man martert die Gefangenen zu Tode,

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)