Seite:Der Vampyr.pdf/81

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hinter dem Rücken die Hände mit den Füßen zusammen. Der Priester befestigte ein langes Lianenseil an den gefesselten Gliedmaßen, dann schleppten die vier Henkersknechte den Unglücklichen zum Feuer und hingen ihn an dem dreibeinigen Gestell so auf, daß er nur einen Fuß über der Glut hing … …

Ich schloß die Augen und hätte mir gern auch die Ohren verstopft.

Das unsäglich Fürchterliche wollte nicht enden.

Hatte der Ärmste hundert Leben in sich?

Ich meinte vor Entsetzen und Grausen sterben zu müssen.

Ich hörte den Leutnant neben mir knirschen und stöhnen … …

Auf einmal fühlte ich eine Bewegung an dem Stropp, der mich an den Baumstamm band. Er lockerte sich, sackte hinunter – ich war frei!

Auch der Fesseln an meinen Händen war ich ledig. Ehe ich noch einen bestimmten Gedanken fassen konnte, ergriff eine weiche Hand die meine und zog mich schnell um den Stamm herum in den Schatten desselben. Unwillkürlich sah ich noch einmal zurück nach der Versammlung der Schwarzen – aller Blicke waren auf das über dem Feuer hängende und sich furchtbar windende Opfer gerichtet – und noch ehe ich recht erkannt hatte, was mit mir vorging, fand ich mich bereits eine Schiffslänge von dem Baum entfernt[1], geschwind und geräuschlos durch die Dunkelheit gleitend, an der linken Seite unsrer Samariterin, die mich fest an der Hand hielt, während sie auf ihrer rechten Seite Langfeld mit sich fortzog. So strebten wir mit atemloser Hast der dichten Finsternis zu, die jenseit des vom Dorfe her durch die Stämme leuchtenden Feuerscheins lag.

Ab und zu kam ein leises, dringendes „Sola-ku! Sola-ku!“ über des Mädchens Lippen, so ausdrucksvoll, daß wir ohne Schwierigkeit darin eine Mahnung zur äußersten Beschleunigung unsrer Schrite erkannten. Wir taten dies auch nach Kräften, und etwa zehn Minuten nach dem Augenblick unsrer Befreiung langten wir auf einem schmalen Streifen sandigen Strandes an, und vor uns wälzte der Kongo seine

  1. Vorlage: enfernt
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/81&oldid=- (Version vom 31.7.2018)