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So kauerten wir beide regungslos eine volle halbe Stunde; der Wilde hatte seine ganze Aufmerksamkeit so ausschließlich dem Paar unter dem Vordach zugewendet, daß er nichts davon ahnte, wie scharf auch er selbst beobachtet wurde.

Endlich erhob sich Langfeld und begab sich, auf Lubembas Schulter gestützt, in die Hütte, denn die Sonne war bereits im Untergehen.

Der Wilde verharrte noch einige Minuten länger hinter seinem Busch, dann sprang er auf und rannte in voller Fahrt auf die Hütte zu. Ich jagte hinter ihm drein.

Als ich den Rand des Waldes erreichte, war er fünfzig Schritt vor mir. Jetzt packte mich die Furcht, daß er Böses im Schilde führen könne, und ich bedauerte, mich nicht schon vorher an ihn herangemacht zu haben. In dem Bestreben, ihn aufzuhalten, stieß ich einen lauten Ruf aus. Er blickte rückwärts, sah sich verfolgt und rannte mit noch größerer Hast der Hütte zu.

Auf meinen Ruf war Lubemba im Eingang erschienen; als sie den heranstürmenden Wilden erblickte, stieß sie einen schwachen Schrei aus, erhob abwehrend die Hände und rief ihm einige Worte zu, die ich nicht verstand. Er achtete nicht darauf, sondern stürzte mit drohend erhobenem Speer auf sie zu. Wenige Sekunden später hatte er die Hütte erreicht und wollte sich nun den Eingang erzwingen.

Lubemba versuchte, ihn zurückzuwerfen; einen Moment rangen sie miteinander, dann tat er einen Schritt rückwärts, erhob mit wildem Schrei den Speer und stieß die breite Spitze desselben dem wackeren Mädchen tief in die Brust. Sie wankte, taumelte zurück und sank mit dem klagenden Ruf „Loba! Loba!“ im Innern der Hütte nieder.

Der Wilde ließ den zitternden Speer im Körper der Unglücklichen stecken, griff nach einem andern, wendete sich gegen mich und nun erkannte ich in ihm unsern Feind, den Fetischpriester aus Lubembas Dorf. Ich war bis auf Armeslänge vor ihm angelangt; er führte einen wütenden Stoß gegen mich, den ich jedoch mit dem Stiel meiner Waffe glücklich parierte. Dann aber sprang ich auf ihn los und versetzte

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/91&oldid=- (Version vom 31.7.2018)