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„Sind Sie das wirklich, Freund Wetter?“ sagte er, als ich mich vor ihn hinstellte. „Was so ein paar Lappen nicht ausmachen. Jetzt sind Sie wieder gut für mindestens ein Duzend toter Sklavenräuber.“

„Dasselbe kann ich auch von Ihnen sagen,“ erwiderte ich. „Ich freue mich von Herzen über Ihr gutes Aussehen und hoffe inständig, daß Ihre Wunden baldigst ganz geheilt sein möchten.“

„Danke, Schiffsmaat,“ sagte er. „Ja, ich fühle mich wirklich wieder wie frisch verkupfert und gelabsalbt. Don Manuel hat mich so tüchtig bepflastert und beschmiert, daß ich wieder beinahe so gut wie neu bin. Aber sagen Sie mir, Mensch, ist denn das auch alles Wirklichkeit, oder träume ich nur? Sind wir tatsächlich wieder unter christlichen Menschenbrüdern, in einem richtigen Hause mit festem Dach, wo wir, wie es scheint, uns vielleicht noch mancher Vorzüge der Zivilisation zu erfreuen haben werden?“

Ehe ich darauf erwidern konnte, kam Pedro, um uns zu Tisch zu rufen.

Don Manuel erwartete uns in einem reich ausgestatteten Zimmer, in dessen Mitte die gedeckte Tafel stand. Er begrüßte uns wieder mit vornehmer Höflichkeit und fügte dann hinzu:

„Erlauben Sie mir, Gentlemen, Ihnen meine Tochter Antonia vorzustellen, die einzige, die das Geschick mir von meiner ganzen Familie gelassen hat.“

Es war eine junge Dame von großer Schönheit, die sich bei diesen Worten aus einem Sessel erhob und die unsre Verbeugungen mit graziösem Kopfneigen erwiderte und uns in gebrochenem Englisch willkommen hieß.

Aus der Unterhaltung bei Tische erfuhren wir Näheres über die Persönlichkeit unsers Gastfreundes. Er war ein Naturforscher und ein unabhängiger, wohlhabender Mann; er hatte sich hier am Ufer des Kongo niedergelassen, um die Fauna und Flora dieser nur wenig bekannten Region in Ruhe und Muße erforschen und studieren zu können, und nebenbei machte er gelegentlich allerlei Geschäfte, sowohl

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/96&oldid=- (Version vom 31.7.2018)