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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

Harden lebte vom Kampfe gegen die „wilhelminische Ära“. Als die Herrlichkeit des deutschen Kaiserreiches zu Ende war, da ging es auch mit Harden zu Ende. In benachbarten Orten, am nordischen Meer sind Kaiser und Frondeur verdämmert. Zuvor aber mußten sie zwanzig Jahre lang tagtäglich im Kampfe stehen. -

Die ungemein feine zierliche Gestalt trug einen Kopf, der bei aller Schönheit und Bedeutung doch etwas puppenhaft wirkte. Wie ein hübsches Gesichtchen auf einer Bonbonniere oder auf einer Zigarettenschachtel. Ein Kindergesicht, das, wenn es liebenswürdig und angeregt plauschte, einem geltungsüchtigen Kammerkätzchen zu eignen schien. Aber wenn er böse, bitter und gekränkt wurde (ein Zustand freilich, der den streng disziplinierten Mann alsbald in die Einsamkeit trieb), dann konnte sich das artige Antlitz des feinen Zöfchens verwandeln in das eines schmähsüchtigen Teufelchens.

Der Grund seines reichzerklüfteten Wesens war bei eiserner Selbstzucht und beständig wachender Bewußtheit eine ihn ewig gefährdende Reizsamkeit, die ihn zum Spielball starker Eindrücke zu machen drohte. In seinen Gefühlen schwankend, war er doch in seinem Kerne gut, edel und treu. Geneigt zum Umschlag der Stimmung, war er doch in seinem Urteil nicht zu beirren. Er war ein Sekundenmensch, wenn es je Augenblicksnaturen gegeben hat, so „aktuell“, daß jeder neue Tag, neue Ort, neue Eindruck ihn verändern konnte, so daß er (ohne es zu merken) wohl heute lobte, was er gestern doch verdammt hatte, und willig heute fallen ließ, was er noch gestern zäh verteidigt hatte. Nie aber war es die

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/176&oldid=- (Version vom 31.7.2018)