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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

dieser Welt noch wichtig nehmen, wenn er durchschaut, daß hinter allen Vorfällen nur verletzliche Menschen stehen. Menschen mit Bedürfnissen nach Lüge und nach Tröstung.

Staaten und Völker also standen vor seinen Augen als konkurrierende Firmen, die um Vorteile ringen. Seine Firma aber hieß Deutschland. In seinen stillsten Stunden träumte er wohl vom Posten des Reichskanzlers. In seinen lautesten betonte er geflissentlich den „selfmademan“, der nichts als musischer Mensch sei und Mann der besten europäischen Kultur. Er erarbeitete sich fremde Sprachen, durchschmökerte zahllose Bücher (aber sie mußten Wirklichkeitsbücher sein und Geschichtlich-Konkretes enthalten), gewann Urteil und Geschmack in vielen Künsten, kannte Geschäft und Wirtschaft jedes Landes und besaß schließlich ein Erfahrungswissen um die Menschen und Tatsachen seines Zeitalters, das kein Praktiker, ganz gleich welcher Sparte, ganz gleich welchen Landes, kein Staatsmann je überbieten konnte.

Aber gerade diese Überbewußtheit wurde sein Fluch.

Schon immer geneigt, mit bescheidenen Eitelkeiten sich zu brüsten, Geheimniskrämer und Wichtigtuer, und gewillt, völlig eingeweiht und vielen überlegen zu erscheinen, beschwerte er seinen Stil mit zu glanzvollen Lichtern, mit zu vielen Anspielungen, Zitaten und Geistreicheleien. Er wurde, was das Altertum einen „Kalozelisten“ (Schöneifrer) nannte.

Wer seinem Zeitalter immer um Meilen vorausläuft, der wird nie zu Anerkennung gelangen, weil er der Menge nicht zu Gesichte kommt. Er ist von der Menge immer getrennt durch den breiten Zwischenraum voller

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/179&oldid=- (Version vom 31.7.2018)