Seite:Der jüdische Selbsthaß.pdf/205

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

In jener Stunde, wo dieser Mann angesichts der deutschen Öffentlichkeit von einem gedungenen Bravo niedergeschlagen wurde, ohne daß irgendeiner aus seiner Million Bewunderer von ehemals öffentlich für ihn eintrat, da ist mir alles zum Ekel geworden, was ich jemals Absprechendes über ihn geäußert, jemals Verneinendes gegen ihn geschrieben habe. Aus unmittelbarer Empörung schrieb ich ihm. Und sein Dank zeigte, daß die Teilnahme eines Schicksalsgenossen ihn freute. Denn auch ich erfuhr damals unter dem Beifall der deutschen Öffentlichkeit Beschimpfung und Mißhandlung.

Ich habe Harden noch einmal wiedergesehen.

Es war in seinem Häuschen im Grunewald. Das Gesicht des kleinen Marquis war alt geworden. Seine Züge scharf. Sein Gang greisenhaft. Nur die stählernen blauen Augen hatten noch den Jugendglanz. Und sein Wesen die selbe Zierlichkeit und bezaubernde Grazie wie in der Jugend. Hundert Bilder und Schicksale zogen vorüber, die wir überdauert hatten. Ich sagte: „Ich hätte Sie bis zum Tode bekämpft, wenn Sie in der Macht geblieben wären.“ Er erwiderte: „Auch ich hätte Bismarck bis zum Tode bekämpft, wenn er in der Macht geblieben wäre.“

Er entsann sich unserer frühen Gespräche und erinnerte daran, daß wir einst über unser Schicksalslos als Deutsche und Juden debattierten. Er habe mir, dem schwankenden, die strenge Forderung gestellt: Deutsch schlechthin! Da sei ich gequält aufgesprungen und habe ihm ein Zitat zugerufen, - sein erstaunliches Gedächtnis kannte es noch nach 36 Jahren:

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/205&oldid=- (Version vom 5.7.2016)