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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthaß

oder ein sie entstellendes Muttermal. Und doch fühlen sie andrerseits zu vornehm, um einen Makel an Juden und Judentum zu ertragen, ohne sich selber mit einzubeziehen.

Dieser wohlgeratene junge Forscher scheute an diesem Punkte jede Aussprache. Er wurde beunruhigt, sobald das Gespräch an seine wunde Hautstelle rührte. Nur ein einziges Mal hat er den Panzer des Schweigens zerbrochen, als er zu einem geliebten Mädchen von seiner Abkunft sprach, und der Ausbruch seiner Klage über den Fehl seiner Geburt war so erschütternd und zugleich so unbegreiflich, daß nach mehr als einem Menschenalter die solcher Preisgabe Gewürdigte sagte, sie habe in einen Abgrund geblickt, dessengleichen sie nicht wiedersah. -

Die geheime Selbstquälerei ist nun aber die Wurzel jenes durch Paul Rée angeregten, auf dem Umwege über die gewaltigen Wirkungen Nietzsches zum Bestande der Bildung Europas gewordenen „Psychologismus“. Bevor wir die persönliche Leidensgeschichte Paul Rées betrachten und ihren Fortschritt bis zur heillosen Verstarrung verfolgen, müssen wir uns klar werden über den Zusammenhang der modernen Psychoanalytik mit dem jüdischen Selbsthaß.

Es liegt mir fern, zu behaupten, daß die heute herrschende Art von Seelenchemie ausschließlich das Werk jüdischer Intelligenzen sei. Wenn wir aber bemerken, daß die von Paul Rée angeregte sogenannte „psychoanalytische Methode“ auf Umwegen über die Formeln Nietzsches, welche heute zum Bestande der allgemeinen Bildung

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthaß. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/62&oldid=- (Version vom 5.7.2016)