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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

II
Otto Weininger

Am 4. Oktober 1903 erschoß sich in Wien in der Schwarzspaniergasse, im Sterbezimmer Beethovens, der dreiundzwanzigjährige Student der Philosophie Otto Weininger. Ein unerklärliches Ereignis!

Wenige Monate zuvor war im Verlage von Wilhelm Braumüller in Wien (unter den Auspizien der Philosophieprofessoren Friedrich Jodl und Laurenz Müllner) ein mächtiges Gedankenwerk erschienen. Es führte den Titel „Geschlecht und Charakter“ und enthielt prinzipielle Untersuchungen über das Verhältnis des Elementaren zum Geistigen, wobei das Elementare als die „weiblich-mütterliche“, das Geistige aber als die „männlich-schöpferische“ Seite alles Daseins hingestellt, Weib und Mann also gleich Nabel und Hirn oder Wurzel und Wipfel widereinander ausgewogen wurden.

Der Erfolg des wildbewegten Buches war erstaunlich. Die bedeutenden Denker jener Tage: Ernst Mach, Georg Simmel, Henri Bergson, Fritz Mauthner, Alois Höfler, lasen das Buch und begannen in Kollegs und Gegenschriften sich mit seinen scharfsinnigen Gedanken auseinanderzusetzen. Der Widerspruch überwog die Zustimmung.

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/80&oldid=- (Version vom 29.12.2019)