Harald erwiderte jetzt:
„Vielleicht kommen wir gar derselben Erbschaftsangelegenheit wegen, Schwester … Ich glaube sogar bestimmt, daß …, – doch das läßt sich ja unschwer feststellen … Wir haben in Wannsee im Schwedischen Pavillon in einem Fremdenzimmer …“
Die Pflegerin rief erstaunt – freilich auch jetzt mit vorsichtig gedämpfter Stimme:
„Wannsee – – Schwedischer Pavillon?! Ist es das Testament einer englischen Dame …? – Herr Rittmeister hat im Fieber so oft eine Miß Lydia erwähnt …“
„Dann stimmt die Sache, Schwester … Miß Lydia Salnavoor …“
Die Pflegerin erhob sich rasch … „Unter diesen Umständen – es handelt sich ja um eine freudige Botschaft – werde ich den Herrn Rittmeister vorbereiten, und dann rufe ich Sie herein, meine Herren …“
Wir … waren allein … Harald schaute mich sinnend an.
Flüsterte: „Eine falsche Fährte, mein Alter … Wenn Selchow krank ist, dann kann er nicht der …“
Ich verstand: „Nicht der Mörder sein …“
Wir brauchten nicht allzu lange zu warten.
Die Pflegerin öffnete die Tür und winkte …
Wir traten ein …
In dem halb verdunkelten, nur einfenstrigen Zimmer lag linker Hand in einem schlichten eisernen Feldbett ein blasser, magerer Herr mit sehr dünnem blonden Scheitel und kurz gestutztem Bärtchen …
Er begrüßte uns mit matter, zitteriger Stimme …
„Setzen Sie sich … setzen Sie sich … Bitte – – Schwester, Sie … Sie lassen uns wohl allein …“
Herr v. Selchow flüsterte dann:
„Spannen Sie mich nicht auf die Folter … Haben Sie das Testament wirklich?“
„Ja, Herr Rittmeister … Hier ist es …“
Selchow legte es vor sich auf die Steppdecke …
Max Schraut: Der rätselhafte Gast. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1925, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_r%C3%A4tselhafte_Gast.pdf/48&oldid=- (Version vom 31.7.2018)