Seite:Der weiße Maulwurf.pdf/54

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

weiter aufwühlen, ich bin am Ende meiner Kräfte, ich kämpfe ja für mein Kind, nicht für mich!!“

Harald war genau so erschüttert wie ich. Er suchte zu trösten, er fand nicht die rechten Worte, denn seine Aufmerksamkeit war beständig gespalten, er sollte sich dieser bedauernswerten Frau widmen und mußte nebenbei den größten Teil seiner Wachsamkeit auf die Umgebung richten. Er fürchtete für Frau Lüning, seine Augen durchsuchten beständig die Büsche, glitten hierhin und dorthin, außerdem entdeckte ich in seinen Zügen einen sonderbaren zerfahrenen Ausdruck, der nur auf eine gesteigerte, ihn selbst verwirrende Gedankenarbeit schließen ließ.

„Gnädige Frau“, fragte er nach kurzer Pause in herzlicher Eindringlichkeit, „seien Sie bitte ehrlich, Sie lieben Ihren Gatten noch immer, nicht wahr?“

Mit einem Schlage war sie wieder wie umgewandelt. Eine Würde und Feierlichkeit, die in der Form bisher nicht an ihr zu bemerken gewesen, veränderte ihr tränenfeuchtes Gesicht. „Ja, ich liebe ihn“, erklärte sie fest. „Er war mir bis vor einem Jahr etwa der zärtlichste, aufmerksamste Gatte und meinem Kinde ein liebevoller Stiefvater. Dann kam der jähe Umschwung – ohne jeden äußeren Anlaß. Er war traurig, bedrückt, leicht aufbrausend, er veränderte die bisherige Einteilung der Zimmer, er belegte für sich das halbe Erdgeschoß, ließ Umbauten vornehmen, schuf das große Bibliothekszimmer, wurde Büchersammler, nicht einmal Strahl durfte die Bibliothek betreten, er hielt sich von uns fern, verfiel auch körperlich, nahm die Mahlzeiten zumeist allein ein, aß unmäßig, trank unmäßig, vernachlässigte sein Geschäft, – alles Anzeichen für eine beginnende Geisteskrankheit …“ – Jetzt brachen ihr die Tränen wieder hervor, sie hatte nun auch ihr letztes, schreckliches Geheimnis enthüllt, sie verlor wieder jede Widerstandskraft, sie hing in Harsts Armen wie ein mattes, krankes Vöglein, und erst nach geraumer Zeit faßte sie sich wieder und gehorchte schweigend Haralds dringendem Rat, sich so, wie sie

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Der weiße Maulwurf. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1932, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_wei%C3%9Fe_Maulwurf.pdf/54&oldid=- (Version vom 31.7.2018)